Ploetzlich Mensch
Erinnerung an sein früheres menschliches Leben be i seite.
„ Red nicht so abfällig über etwas, von dem du keine Ahnung hast.“ Er würde sich von ihr bestimmt keine Schuldgefühle einreden lassen. Er war ein Jäger und er hatte das Recht des Stärkeren auf seiner Seite gehabt.
Die Prinzessin erwiderte nichts darauf. Wortlos biss sie in ein Stück Pizza und starrte wieder auf die perlende Kohlensäure in ihrem Cola-Glas.
Mittlerweile wies ein leichtes Ziehen im Unterleib ihn auf eine weit e re Unannehmlichkeit des menschlichen Körpers hin. Die Verdauung.
„ Ich muss mal kurz weg. Die Natur fordert ihr Recht“, informiert er sie mit einem entschuldigenden Lächeln. Zögernd erhob er sich. Er hoffte inständig, dass sie die Gelegenheit nicht nutzen würde, um sich aus dem Staub zu machen. Es war unklug, sie jetzt allein zu lassen, doch der Druck auf seine Blase war nach drei Gläsern Limonade so groß, dass er ihn nicht länger ignorieren konnte.
Während das kalte Leitungswasser auf seine Hände herabplätscherte, starrte er in den Spiegel über dem Waschbecken des kleinen WC-Raums. Das Gesicht des jungen Mannes, das ihm so fremd und doch so vertraut war, blickte ihn fragend an. Wie sollte es jetzt weitergehen? Er musste es schaffen, die Prinzessin an einen Ort zu bringen, an dem sie allein waren. Am besten geeignet wäre seine Wohnung. In den sor g sam abgedunkelten Räumen würde er nicht einmal das Ende des Tages abwarten müssen. Er könnte dieses „Fragment“ an sie zurückgeben und alles wäre wieder wie früher.
Aber sie war so furchtbar misstrauisch, dass sie bestimmt nicht in Begeisterungsjubel ausbrechen würde, wenn er ihr vorschlug, mit ihm in seine Wohnung zu gehen. Nicht ganz zu Unrecht, wie er zugeben musste. Er selbst würde sich, wenn er in ihrer Lage wäre, vermutlich auch nicht über den Weg trauen. Wie auch immer, ihm würde schon etwas einfallen. Im Moment war es wichtig, sie nicht zu verschrecken und den vagen Waffenstillstand, der zwischen ihnen herrschte, au f rechtzuerhalten. Alles andere würde sich schon ergeben.
Mit Erstaunen stellte er fest, dass sein starker Drang, so schnell wie möglich wieder ein Vampir zu werden, ins Wanken geriet. Vielleicht war es gar keine schlechte Idee noch eine gewisse Zeit in diesem menschlichen Körper zu verweilen und seine Vorteile auszukosten, bevor er sich wieder für immer davon trennen musste.
Er spritzte sich etwas von dem kühlen Wasser ins Gesicht und strich noch einmal die kurzen braunen Haare glatt. Dann trat er wieder hi n aus in den Gastraum.
Erleichtert stellt e er fest, dass Clara noch immer an ihrem Tisch saß. Der Berg an halb leer gegessenen Tellern war mittlerweile verschwu n den.
„ Die Pferdefrau fragte, ob sie uns die Reste einpacken soll. Ich hab einfach mal ja gesagt“, berichtete sie ihm, als er wieder ihr gegenüber Platz nahm.
„ Gute Idee.“
„ Und? Wie geht es jetzt weiter?“, wollte sie wissen.
„ Gute Frage. Wir sollten vielleicht …“ Ein schriller Aufschrei, weiter vorn im Laden , unterbrach ihn abrupt.
„ Da ist eine Ratte unter dem Tisch“, erklang eine entsetzte Männe r stimme, von der man auch ohne hinzusehen wusste, dass sie einem Elf gehörte.
Hektisch wanderte Deans Blick über den Boden, bis seine Augen e i ne kleine braune Gestalt ausmachten, die zwischen den Tischen hi n durch auf sie zugelaufen kam. Auch Clara hatte die Ratte entdeckt. Ihr Gesicht wurde kreidebleich. „Das ist eine der Tempelratten.“
Die Ratte hatte mittlerweile ihren Tisch erreicht. Bevor er reagieren konnte, hatte sie sein Hosenbein erklommen und war über seinen Arm auf die Tischplatte gelangt, wo sie sich demonstrativ vor ihnen aufba u te.
„ Prinzessin! Ich habe direkten Befehl, Euch sofort wieder zurück in den Tempel zu bringen“, verkündete das Nagetier.
„ Ich werde nicht mit dir kommen“, erwiderte Clara barsch und er konnte sehen, wie in ihren Augen etwas wütend aufflackerte.
„ Prinzessin! Wenn Ihr mir nicht Folge leisten wollt, ist es mir gesta t tet Gewalt anzuwenden, um Euch wieder heimzubringen.“ Für ein so kleines Nagetier nahm sie den Mund ganz schön voll. Welche Art von Gewalt konnte eine Ratte schon gegen einen erwachsenen Menschen ausüben, wenn dieser nicht gerade gefesselt vor ihr auf dem Boden lag? Bei hundert Ratten sah das allerdings ganz anders aus. Sein Blick glitt nervös durch die Tischreihen des Bistros, doch außer dem Störenfried vor ihnen waren keine
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