Ploetzlich Mensch
dem ihren zu vereinen. Ihn ganz und gar in sich zu spüren …
„ Clara? Hey, Clara ! Was ist los? Träumst du?“ Deans Stimme riss sie aus ihren Gedanken. Sie starrte ihn verwirrt an, nur um im nächsten Moment knallrot anzulaufen, als ihr bewusst wurde, wie sehr sie sich in ihrem Tagtraum verloren hatte.
„ W… W ...Was?“, brachte sie stotternd hervor, während sie es vor la u ter Scham über ihre Fantasien nicht schaffte, ihn anzublicken.
„ Alles okay?“, fragte Dean leicht besorgt.
„ Jaja , sicher. Ich war nur mit den Gedanken gerade woanders.“ Sie musste den Kloß in ihrem Hals wegräuspern, schaffte es dabei aber noch immer nicht , ihn anzusehen.
„ Okay“, sagte Dean stirnrunzelnd. „Ich wollte wissen, ob dir der Fisch schmeckt“, wiederholte er die Frage, die er offenbar zuvor schon einmal gestellt hatte.
„ Der Fisch?“ Sie betrachtete das Essen auf ihrem Teller. Umringt von dampfenden Kartoffeln lag dort eine gebratene Forelle, die sie vö l lig in Gedanken versunken offenbar bereits mehrfach mit ihrer Gabel malträtiert hatte. Das tote Tier schien sie aus seinen frittierten Augen vorwurfsvoll anzublicken.
„ Danke, ja , wirklich sehr lecker“, versicherte sie mit ein wenig übe r triebener Begeisterung, obwohl sie noch keinen Bissen davon probiert hatte.
„ Das freut mich“, erwiderte Dean fröhlich und vertiefte sich sogleich wieder ins Essen. Eigentlich mochte sie keinen Fisch, aber der würzige Duft, der in ihre Nase stieg, war verlockend genug, um sie zumindest davon kosten zu lassen. Es schmeckte tatsächlich nicht schlecht. Lan g sam kauend ließ sie das zarte Fleisch auf ihrer Zunge zergehen.
Was war es, das zwischen ihnen stand? Was hatte diesen so wunde r schönen Moment am Strand des Sees so abrupt und unbefriedigend enden lassen?
War es das Blutbad vom Morgen, das ihn abschreckte? Vielleicht ha t te das seltsame Leuchten, dessen Ursprung sie selbst nicht verstand, ihn daran erinnert, was sie wirklich war. Vermutlich hielt auch er sie für ein Monster. Vielleicht war es besser so. Es war nicht richtig, wenn sich ihre Körper vereinten. Dafür stand zu viel zwischen ihnen. Auch wenn ein Teil in ihr sich offenbar sehr nach solch einer körperlichen Nähe sehnte. Konnte denn nicht einmal in ihrem Leben etwas einfach sein? Langsam zerquetschte sie ihre Kartoffeln mit der Gabel.
Ihr Tisch stand am Wasser und es herrschte reger Betrieb vor der Schleuse, die den Kanal mit dem Zulauf des Sees verband. Immer wi e der zogen kleine Schiffe an ihnen vorbei. Doch das laute Tuckern der Motoren und der damit verbundene Geruch von Diesel trugen nicht gerade zur Anregung ihres Appetits bei.
Dean schien all das hingegen sehr gut zu gefallen. Gerade ließ er mit einem genüsslichen Seufzen die letzte Gabel Fisch in seinem Mund verschwinden und sank dann zufrieden in seinen Stuhl zurück.
„ Was für ein herrliches Mahl“, verkündete er fröhlich. „Was hältst du von einem Eis zum Nachtisch?“
Sie unterbrach ihr Massaker an den Kartoffeln und blicke ihn an. Sie fand seine gute Laune unangebracht, stellte aber gleichzeitig fest, dass sie sich von dieser positiven Stimmung anstecken ließ. Wenn sie sich recht erinnerte, war Eis eine kalte, aber wohlschmeckende Süßigkeit, die sie als Kind sehr geliebt hatte. Ein weiteres Genussmittel, von dem sie im Tempel nur hatte träumen können. Also warum nicht? Sie de u tete ein Nicken an, was ihren verrückten Begleiter sofort dazu vera n lasste, die sechsarmige Kellnerin herbeizuwinken.
Nachdem die Frau wieder verschwunden war, blickten sie beide eine Weile lang schweigend hinaus auf das Wasser.
„ Sag mal, was würde passieren, wenn …“, meldete sich Dean schließlich zögernd wieder zu Wort, „was würde passieren, wenn dieser Luminis nicht mehr in dir versiegelt wäre?“
Sie war einigermaßen überrascht von dieser Frage.
„ Er würde sämtliches Leben im Umkreis von vielen Kilometern ve r nichten.“
Er nickte nachdenklich. „Nehmen wir mal an, es g ä be im Umkreis von mehreren Kilometer kein Leben“, bohrte er weiter.
„ Dann würde er vermutlich weiterziehen und Chaos und Schrecken in der Welt verbreiten, wie es vor etwa dreihundert Jahren der Fall war, als er das letzte Mal freigesetzt wurde. Abgesehen davon würde ich sterben.“
„ Er würde dich also töten?“
„ Nein. Vielleicht würde er mich sogar als Einzige am Leben lassen, aber ich müsste trotzdem sterben, sobald er meinen Körper verlassen
Weitere Kostenlose Bücher