Ploetzlich Mensch
sowohl die Sonne schien als auch Regen fiel. Lucile ließ sie teilhaben an ihrem Leben. An der neuen Arbeit, die sie gefunden hatte, neuen Kollegen, Freunden, dem netten jungen Mann, den sie kennengelernt hatte.
„ Warum bist du eigentlich nicht schon viel früher davongelaufen?“ Deans Stimme riss sie aus ihren Gedanken.
Aus welchem Grund war sie in jener Nacht über die Mauer gekle t tert? Vermutlich war es Luciles letzter Brief gewesen, der sie veranlasst hatte , ihre Tasche mit den wenigen Habseligkeiten, die ihr wichtig w a ren zu packen, und den Baum am Rande des Gartens zu erklimmen. Luciles Bericht von ihrer Heirat und der Hochzeitsreise in ferne Lä n der hatte Clara einmal mehr vor Augen geführt, was sie selbst nie h a ben würde, wenn sie weiter im Tempel blieb.
Also hatte sie das Knoblauch-Spray, das Camille ihr zur Abwehr b ö ser Geister gegeben hatte, womit er sich wohl auch auf einige der Tempelbewohner bezog, gepackt und den lauen Sommerabend für e i nen Sprung hinaus in die freie Welt genutzt. Eigentlich sollte es nur ein kurzer nächtlicher Ausflug werden, doch diese Option hatte ihr dieser blauäugige Vollidiot dann leider zerstört.
„ Vielleicht, weil ich gewarnt wurde, dass in der Welt hier draußen Monster wie du lauern würden“, erwiderte sie eine Spur gehässiger, als beabsichtigt.
Dean wirkte ein wenig gekränkt von dieser Antwort. „Oh, komm schon, Clara. Ich weiß, dass wir beide keinen guten Start hatten, aber könntest du nicht versuchen, ein bisschen von deiner Skepsis mir g e genüber abzulegen?“
„ Keinen guten Start! Du hast versucht mich umzubringen.“
„ Ja, verdammt, und du hast mir das Leben gerettet!“
Zum Glück ersparte ihr die Kellnerin, die in diesem Augenblick mit ihrem Nachtisch zurückkehrte, eine weitere Antwort.
Doch sie kam nicht mehr dazu , das fruchtig duftende Eis zu probi e ren. Zwei neue Gäste betraten die Terrasse des Restaurants. Der ger a de gehobene Löffel verharrte in der Luft vor ihrem Mund. Der Schock jagte wie eine eiskalte Welle durch ihren Körper und lähmte ihre Mu s keln.
„ Was ist los?“ , fragte Dean, dem ihr Verhalten nicht entgangen war.
„ Tempeljünger“, brachte sie fast tonlos hervor und deutete vorsichtig in Richtung des Eingangs, während sie tiefer in ihren Sessel sank.
Dean versuchte , möglichst unauffällig über die Schulter einen Blick in die entsprechende Richtung zu werfen. Zwei Männer kamen die Treppe vom Restaurant zur Terrasse herunter. Der eine war ein Mensch, der andere ein Elf und sie waren beide in die langen weißen Roben der Kinder des Lichts gekleidet.
*
„ Sie haben uns gefunden. Sie haben uns aufgespürt.“ Clara war außer sich. Panik stand in ihren Augen. Sie zitterte am ganzen Körper und Dean glaubte , eine schwach leuchtende Aura um sie herum wahrz u nehmen. Er musste sofort etwas unternehmen, sonst würde etwas Furchtbares passieren.
„ Clara. Clara! Beruhig dich.“ Er griff nach ihren Händen und sah ihr fest in die Augen, in der Hoffnung, ihre aufkeimende Panik bremsen zu können. „Das ist bestimmt nur ein Zufall. Ich glaube nicht, dass sie wegen uns hier sind.“
Ein weiterer Blick über die Schulter verriet ihm, dass die beiden Männer in einiger Entfernung zu ihnen an einem der Tische stehen geblieben waren. „Da, schau. Sie verteilen Handzettel und betteln die Leute um Geld an.“
Claras Panik schien ein wenig abzuebben. Zumindest hatte er das Gefühl, als ließe das Leuchten um ihren Körper etwas nach. Doch sie war noch immer zutiefst verängstigt, was in seinen Augen keinen wir k lich stabilen Zustand darstellte.
„ Aber sie sind hier. Und wenn sie mich sehen, wissen sie mit Siche r heit sofort, wer ich bin.“
„ Dann müssen wir dafür sorgen, dass sie dich nicht zu Gesicht b e kommen“, erwiderte Dean pragmatisch und drückte ihr den Aut o schlüssel in die Hand. „Schleich du dich unbemerkt nach draußen. Ich sorge für die nötige Ablenkung.“
Clara blickte ihn verunsichert an. Er nickte ihr aufmunternd zu. „Gib mir ein paar Minuten und dann schleich dich raus. Okay?“ Sie nickte zögernd. „Gut.“ Er schenkte ihr ein zuversichtliches Lächeln und e r hob sich dann von seinem Stuhl. Er überquerte die Terrasse und schlug dann einen großen Bogen, um von hinten an die beiden Bette l mönche heranzutreten. Der Mensch, ein schleimiger Typ mit nach hi n ten gegeltem Haar, war gerade dabei auf zwei junge Frauen einzur e den, die an einem
Weitere Kostenlose Bücher