Poison (German Edition)
denn ich will es eigentlich schon noch heute erfahren. »Mutter« hantiert an einer dieser Schalen herum und zündet noch mehr Kohle an. Witzig, und warum benutzt sie dazu ein Feuerzeug? Nach der Theorie mit der Zigarette müsste das doch auch ganz einfach zu bewerkstelligen sein ... oder? Und außerdem, wozu? Es riecht hier doch wirklich widerlich genug. Nein, offenbar gibt es noch eine Steigerung dazu ... sie legt Weihrauch auf und noch ein weiteres undefinierbares Kraut, kein Hanf oder Cannabis, das würde ich wiedererkennen, dem Geruch nach scheint es Myrrhe oder so ein Zeug zu sein ... ist ja ziemlich düster hier.
Plötzlich wird die Musik lauter und anders ... Aus sphärisch-schräg wird psychedelisch-nervig, klingt, als würde jemand eine Katze quälen. Kein Wunder, dass man verrückt wird, wenn man Abertausende von Jahren solche Musik hören muss. Armer Seth. Als Mutter sich wieder zu mir umdreht, und mich mit leerem Blick anstarrt, atmet sie schwer und scheint sich zu konzentrieren ... oder tut so, wie auch immer ... oder sich in Trance zu versetzen, dann sackt ihr der Kopf plötzlich auf die Brust, und dann hebt sie ihn wieder, anders, kraftvoller, mit wildem Feuer in den Augen. Ahhh. Sie ... er ... – ja, was denn nun? – steht auf und breitet die Arme aus.
»Brix, Untertan, begrüße deinen Herrn und Gebieter!«
Huh? Soll ich jetzt vor Mutter auf die Knie sinken, oder wie stellt sie sich das vor? Und weshalb kann sie nicht ganz normal mit mir weiter reden? Es ist nicht besonders überzeugend, wenn sie die Stimme verstellt, bemerke ich.
»Ich bin Seth, Gott und Herrscher über die Menschheit seit vielen Tausend Jahren.« Aha. Und was zum Henker hat das Ganze mit mir zu tun?
»Du bist von mir einst auserwählt und gezeichnet worden, auf dass ich dich wiedererkennen würde, wenn der Zeitpunkt gekommen sei, dich zu mir zu rufen und deine Dienste einzufordern.«
Schluck. Kann er etwa meine Gedanken lesen?
»Nun ist der Augenblick gekommen, auf den du so lange gewartet hast.«
Habe ich? Klar, jetzt wo er es erwähnt ... doch, klar, ich wusste schon immer, dass Seth eines Tages vor meiner Tür steht. Ich glaube, wenn ich nicht ironisch werde, flipp ich aus.
»Deine Reise kann nun beginnen, mein Sohn. Der Pfad in dein Innerstes führt an vielen Stationen vorbei, Brix. Dir wird als Erstes die Ehre zuteil, an meinem großen Werk teilzuhaben, an meinen Plänen mitzuwirken. Und auch, wenn du nur eines von vielen unzähligen Staubkörnern sein wirst, die in der unendlichen Weite des Universums an der neuen Weltordnung mitwirken, so wirst du doch immer ein Teil meines Werks und damit ein Teil dieser Organisation sein. Höre deshalb auf die weisen Worte von »Mutter«, denn sie empfängt sie direkt aus meinem Mund.« Stille.
»Mutter« sackt zusammen, sinkt auf ihre beiden Knie, röchelt und schnauft, als ob sie eben inzwischen drei Mal um die Villa gejoggt wäre, und fragt mich – dieses Mal wieder ohne ihre Stimme zu verstellen: »Nun, Brix, kannst du die Erleuchtung fühlen?«
Wie bitte? Erleuchtung? Ich habe nur kryptisches Gelaber gehört, von Ehre, Sandkörnern, Plänen, Stationen und wichtig, oder doch nicht so wichtig ... von Erleuchtung keine Rede. Und das sage ich ihr auch. »Wie? Schon vorbei? Das war’s schon? Ohne Abschiedsgruß? Ach so, ich vergaß, ein großer Herrscher braucht sich ja im Umgang mit kleinen Sandkörnern nicht mit Formalitäten aufzuhalten. Oder ist er so unter Termindruck? Großer Auftritt, aber kleiner Abgang, irgendwie peinlich, findest du nicht?« Ich kann’s nicht ändern, aber ich werde nun mal sarkastisch, wenn ich Angst habe. Und gerade habe ich eine Scheißangst.
Wobei ich einen gewissen Respekt empfinde, aber ich habe absolut keine Ahnung, wem der gilt. »Mutter« und ihrer Performance ganz gewiss nicht. Und dem Schatten, dessen Anwesenheit ich eben in der linken Ecke des Raums wahrgenommen zu haben glaube, ganz gewiss auch nicht. Ich will lieber nicht darüber nachdenken ... ich brauch eine Zigarette.
»Brix, du brauchst nicht zu verzweifeln, bloß, weil du die Worte des Herrschers Seth nicht verstanden hast. Das ist manchmal so, wenn man die Macht und Weisheit nicht verarbeiten kann, und es einfach zu allmächtig, zu groß, zu unverständlich ist. Ich werde dir die Botschaft vermitteln, also fürchte dich nicht.«
Fürchten? Dazu habe ich keine Zeit mehr ... ich würde lieber gehen ... jetzt. Ohne mich umzudrehen, versteht sich, und mit der Unterstützung
Weitere Kostenlose Bücher