Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Polivka hat einen Traum (German Edition)

Polivka hat einen Traum (German Edition)

Titel: Polivka hat einen Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Slupetzky
Vom Netzwerk:
Polivka wuchtet sich von seinem Sessel hoch und breitet die Arme aus. «Herbei, mein Freund, wir wollen zechen! Haben Sie Ihren Zauberkasten mit?»
    «Sie haben ja mindestens drei Mal betont, dass ich ihn nicht vergessen soll.» Er wirkt jetzt fast ein wenig eingeschnappt, der gute Hammel, so als hege er zusehends den Verdacht, dass Polivka nicht ihn, sondern in erster Linie sein Notebook auf ein Bier einladen will. Mit dem Pathos des verkannten Samariters legt er seine schwarze Schultertasche auf den Tisch, um ihr den Laptop zu entnehmen.
    «Zwei Krügel, zwei Grappa!», ruft Polivka freudig, während Hammel den Computer hochfährt. Und dann, etwas leiser: «Sagen S’, kann man mit dem Wunderding auch französische Zeitungen lesen?»
    «Sicher», gibt Hammel zurück.
    «Und übersetzen? Ich meine, vom Deutschen ins Französische und umgekehrt?»
    Hammel lächelt milde. «Auch ins Finnische oder Bengalische. Ich schlage vor, dass Sie mir sagen, was Sie wissen möchten, dann kümmere ich mich um den Rest.»
    «In Ordnung. Da, schauen S’ her», sagt Polivka und schiebt ihm die aufgeschlagene Reine über den Tisch. «Dieser tote Franzose da. Ein Zugunglück so circa vor zwei Wochen, in der Nähe von Paris. Ich will den Namen und, falls möglich, auch die Wohnadresse. Also sollten wir vielleicht schauen, was Notbremsung und Toter auf Französisch heißt und das dann dings – wie heißt das?»
    «Googeln.»
    «Richtig, gurgeln.»
    «Heißt das, Sie wollen in der Sache noch weiterermitteln?», fragt Hammel und tippt auf die Zeitung.
    «Bin ich im Dienst?», gibt Polivka grinsend zurück.
    «Schaut nicht so aus.»
    «Da haben Sie’s. Nicht einmal der Schröck kann etwas daran auszusetzen haben, wenn wir uns privat ein bisserl weiterbilden. Legen wir los?»
    «Notbremsung und Toter?»
    «Ja. Und Unglück . Und train . Das heißt nämlich Zug auf Französisch.»
    Mit unbewegter Miene tippt Hammel die Wörter Paris , accident ferroviaire , arrêt d’urgence und tué in das Suchfeld auf dem Bildschirm.
    Polivkas glasige Augen weiten sich. «Was bitte … soll das jetzt? Woher können Sie …?»
    «Fünf Jahre lang Französisch im Gymnasium. Und seither jeden Sommer Ferien in der Provence.»

    Vierhundertachtzigtausend Treffer erzielt Hammels erste Eingabe. Indem er ihr den Namen Jacques hinzufügt, reduziert er die Zahl der Ergebnisse auf dreihundertsiebzigtausend. Immer noch zu viele.
    «Probieren wir’s mit Genickbruch», lallt Polivka, einer plötzlichen Eingebung folgend. Er versucht, sich eine Zigarette anzuzünden.
    « Fracture des cervicales … Das ist gut, das ist sehr gut», murmelt Hammel, ohne den Blick vom Bildschirm zu wenden. «Dreißigtausend … Wenn ich jetzt noch die News herausfiltere … sind wir auf achtzehn!» Hammel triumphiert. Er klickt einen der Einträge an. «Da, schauen Sie, Chef: Les Temps Nouveaux …»
    «Wenn möglich, auf Deutsch», unterbricht ihn Polivka.
    «In Ordnung … Die Neuen Zeiten schreiben also Folgendes: In den frühen Morgenstunden hat sich am vergangenen Samstag, dem 26. Mai, ein folgenschwerer Zwischenfall auf der Bahnstrecke Beauvais – Paris ereignet. Kurz nach der Station Chambly musste der Zug aus ungeklärter Ursache ein Notbremsmanöver vollführen, wobei sich einer der Passagiere, der 45 Jahre alte … luthier … Moment …» Hammel öffnet ein neues Fenster und tippt. «Natürlich, Geigenbauer! Also: der 45 Jahre alte Geigenbauer Jacques G. aus Méru einen Genickbruch zuzog. Jacques G. starb noch am Unfallort; er hinterlässt seine Ehefrau Sophie (39, siehe Bild). »
    «Zeigen Sie!» Polivka streckt einen Arm nach dem Computer aus und kollidiert dabei mit Hammels halb geleertem Schnapsglas. Ehe Hammel reagieren kann, landen Schnaps und Glas in seinem Schoß.
    «Verzeihung», murmelt Polivka. Auf dem Bildschirm kann er dasselbe Foto erkennen, das auch die Reine Wahrheit abgedruckt hat. «Sophie heißt du also, du Luder …»
    Ohne auf Polivkas Worte zu achten, rubbelt Hammel indigniert an seinem feuchten Schritt herum.
    «Geh, Hammel, doch nicht in der Öffentlichkeit; der Fleck tritt sich schon ein. Jetzt kommen S’, lesen S’ weiter! Und noch einen Grappa!»
    Hammel hebt den Kopf und schließt die Augen. Anscheinend ist er es jetzt, der in Gedanken rückwärts zählt. «Wo waren wir?», seufzt er schließlich.
    «Bei Sophie .»
    «Okay … In Anbetracht eines ähnlichen Vorfalls, der sich erst vor einer Woche auf einer spanischen Bahnstrecke ereignet hat,

Weitere Kostenlose Bücher