Portugiesische Eröffnung
tappte durch den Flur ins Badezimmer. Dies würde nur das erste Mal von vielen sein. Eine der schlimmsten Erniedrigungen, die das Alter mit sich brachte, und sein alter Körper hatte solche Mühe mit dem Pissen, dass jede erfolgreiche Erleichterung einem kleinen Wunder gleichkam. Er schaltete das Licht ein, stützte sich an der Wand ab, zielte in die Toilettenschüssel, traf aber nicht richtig. Nicht nur aus Ungeschicklichkeit, es steckte auch ein wenig Bosheit dahinter.
Zuerst war er so froh gewesen, als Graça zu ihm zog. Sie war neugieriger, als ihre Mutter je gewesen war, und wissbegierig. Daher hatte er nur zu gern nachgegeben und ihr alles beigebracht, was er wusste. Letztlich war es ihm aber nicht gelungen, sie von den Vorzügen perfekter Arbeit zu überzeugen. Wie die meisten jungen Leute besaß seine Enkelin einfach nicht die Geduld, um echte Qualitätsarbeit abzuliefern. Sie zog ihre eigenen Methoden vor, die schnelle Produktion am Computer der Schönheit menschlicher Handarbeit.
Unten in der Küche regte sich etwas. Vermutlich die Katzentür. Er hörte das Knarren der Scharniere, das leise Tappen von Pfoten. Saramago, sein alter Tigerkater, der von der nächtlichen Jagd zurückkehrte. Morais drückte die letzten Tropfen aus der Blase, schüttelte seinen schlaffen Penis und verstaute ihn wieder im Pyjama. Bald würde er sterben, dachte er, und mit ihm sein ganzes Wissen. Ein Gedanke, der ihn in letzter Zeit häufig überkam.
Oben an der Treppe blieb er stehen und schaute sinnend hinunter in den dunklen Flur. Vielleicht noch ein Gläschen zum Einschlafen. Er tastete nach dem Lichtschalter, strich dabei über die Wand. Seit fünfzig Jahren war er spätabends und am frühen Morgen durch das dunkle Haus gegangen. Bis letzte Woche, als er auf dem Weg in die Küche gestolpert war und zwei Stunden lang wie ein Käfer auf dem Rücken gelegen hatte. Graça hatte sich mit ihm an die Treppe gestellt und ihn üben lassen, wie man das Licht ein- und ausschaltete.
Seine Hand berührte den Schalter, doch er zögerte und lauschte auf die Geräusche des Hauses. Da war etwas Neues, diesmal aus der Diele. Nicht Saramago. Größer.
»Graça?«, rief er.
Doch die einzige Antwort kam von den alten Uhren im Haus.
»Saramago? Saramago!« Angestrengt schaute er auf den dämmrigen Treppenabsatz.
Dann schließlich ein gereiztes Aufheulen, die hungrige Stimme des Katers.
»Ja, Senhor, ich komme schon.«
Aus der Dunkelheit tauchten zwei leuchtende Augen auf. Dahinter der Körper eines Mannes.
Morais drückte den Lichtschalter, das Treppenhaus wurde hell. Da war der Eindringling.
»Kann ich Ihnen helfen?«, platzte er heraus, denn der Mann sah aus wie ein Tourist, der sich verirrt hatte. Ein Amerikaner, eindeutig ein Amerikaner, wie man sie im Café Nicola Pessoa spielen oder mit einem Reiseführer durch die Alfama schlendern sah. Doch dieser hier wirkte irgendwie sonderbar. Einsam, dachte Morais. Ein Fremder, immer und überall.
Der Mann blickte hoch. Sein Gesicht war völlig ausdruckslos. Er hob die rechte Hand und zeigte Morais die Pistole mit dem Schalldämpfer.
Einen Moment lang war Morais völlig verwirrt, konnte den Fremden am Fuß der Treppe und die Waffe in seiner Hand nicht zusammenbringen. Der Eindringling schaute an Morais vorbei, als suche er etwas oder jemanden, kniff die Augen zusammen und zielte auf den alten Mann.
Morais hob abwehrend die Hand. Sein letzter Gedanke galt seiner Werkstatt, den unfertigen Arbeiten und seinen Werkzeugen, die er wie immer sorgfältig an ihren Platz geräumt hatte.
Graça Morais steckte die Zigaretten ein und verließ den kleinen Kiosk, in dem das Gesicht des uralten gebeugten Besitzers von den Schlagzeilen des Tages eingerahmt wurde. Auf den Titelseiten von Diário de Notícias und Público war das missmutige Gesicht des amerikanischen Präsidenten zu sehen. Und im Jornal de Notícias ein bedrängter Waffeninspekteur der UNO unter der schlichten Schlagzeile WO?
Graça hatte sich weniger nach den Zigaretten als nach frischer Luft gesehnt. Sie wollte in Ruhe nachdenken. Irgendetwas war am Vortag am Miradouro de Santa Catarina geschehen. Nach dem Besuch dieser Blake war sie in den Bairro Alto gegangen, hatte mit den anderen Gaffern hinter der polizeilichen Absperrung gestanden und sich den Klatsch angehört.
»Ermordet«, sagte die alte Frau neben ihr zu ihrer Freundin, bildete mit zwei Fingern eine Pistole und hielt sie an den Kopf. Die Freundin hatte sie angeschaut und
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