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Prickel

Prickel

Titel: Prickel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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alles nur ein Alptraum<, habe ich mir seitdem immer wieder gesagt.
    Immer wieder.
    Morgen würde ich eher kommen müssen.
    Ich hatte ihm kurz erklärt, warum ich gekommen war. Er hatte geglotzt.
    Nur um sicherzugehen, daß er kapierte, wovon ich sprach, hatte ich noch mal von vorn angefangen, langsam und deutlich. Hatte Veronika van Laar, seine Anwältin, ja? erwähnt, und auch sanft darauf hingewiesen, daß mir ohne eine Mithilfe seinerseits die . (fast hätte ich >Hände gebunden seien< gesagt, doch dann war mein Blick auf seine gefallen, die eng -wie ich fand, unnötig eng - zusammengeschnürt in ihrem stählernen Armband neben seiner Schulter hingen) und ich hatte >die dringend notwendigen Anhaltspunkte fehlen würden< daraus gemacht.
    Er hatte geglotzt. Mich angeglotzt. Durchaus wach, also nicht sediert bis unter die Halskrause, so wie manche der Vertreter vorne auf dem Gang, aber auch ohne - wie soll ich sagen -ohne lesbare Mimik. Es hatte gearbeitet in diesem runden Gesicht mit dem weichen, beinahe schlaffen, gerne ein wenig offenstehenden Mund und diesen großen, feuchten, furchtsamen, an mir klebenden Kuhaugen von schwer zu bestimmender Farbe. Da war gedankliche Bewegung unter der rasierten Kopfhaut, soviel war klar zu erkennen gewesen, doch ob sie etwas mit dem von mir Gesagten zu tun hatte, blieb unauslotbar. Als wäre er stumm, taubstumm, Autist, (was er angeblich nicht war), oder aber Opfer eines hammermäßigen, niemals mehr abklingenden Schocks.
    Ich nahm mir vor, morgen mal zu versuchen, mit dem behandelnden Arzt zu reden. Mußte ich eh, denn Besuchserlaubnisse mußten jedes zweite Mal von ärztlicher Seite neu erteilt werden. Dreieinhalb Jahrzehnte Erfahrung im Umgang mit selbstherrlichen Autoritäten sagte mir, daß dieser Umstand noch zum schwierigsten Part meiner ganzen Mission heranwachsen könnte.
    Schließlich hatte ich auf die Stelle an meinem Handgelenk gezeigt, wo andere Leute ihre Armbanduhr tragen, hatte auf die Knappheit an Zeit hingewiesen und hatte ihn um ein einfaches Zeichen von Einverständnis gebeten, macht es die Arbeit unter widrigen Umständen und ohne Bezahlung doch um soviel angenehmer, wenn man halbwegs sicher sein kann, daß der Klient zumindest nichts dagegen hat.
    Glotzen war alles, was ich an Antwort erhalten habe. Waches, wahrnehmendes, aber nichts preisgebendes Glotzen.
    Nein, morgen würde ich eher kommen müssen. Um einiges. Unbedingt. Den wahrscheinlich letzten Millimeter meines Profils als schwarze Striche auf dem Pflaster des Hofes lassend, wendete ich in einem Rauschzustand wiedergewonnener Freiheit und beschleunigte dann die Allee hinunter, daß es der Carina bald den Kardan abscherte. Hu! Bloß weg.
    Was für ein Alp! Und völlig umsonst das ganze. Elf Minunten hatten nicht gereicht, Bernd Roselius auch nur ein Wort zu entlocken.
    Ich steckte mir eine Camel an und kramte nach Musik. Wie es im Auto mitgeführte Cassetten so an sich haben, war das meiste natürlich bis zum Erbrechen abgenudelt. Ich machte das Radio an. Whitney Houston schmetterte mir eine Liebesarie entgegen. Ich machte wieder aus.
    Dieses Glotzen, es ging mir nicht aus dem Kopf. Es war so traurig gewesen. Nicht selbstmitleidig, nicht mitleidheischend. Nur traurig. Negerkinder auf Spendenanzeigen gucken so und Orang-Utans in Zoos. So etwas sieht man sich an, blättert weiter oder schlendert zu einem anderen Käfig, wo die Affen bessere Laune haben. Man schüttelt es ab, halt, wie so vieles, Unbegreifliches, an dem man im Endeffekt doch meint, nichts ändern zu können.
    Dies hier war anders. Ich könnte etwas ändern, vielleicht, das spürte ich. Vorne, im Zwerchfell. So ein leichtes, juckendes Kribbeln. Ein kribbelndes Jucken, so ganz leicht.
    Es war kaum anzunehmen, daß vor mir schon jemand versucht hatte, Beweise für Roselius' Unschuld zu finden. Die Polizei konnte an der Entlastung eines praktisch in flagranti erwischten, offensichtlich geistig gestörten Frauenmörders überhaupt kein Interesse haben.
    Im Gegenteil. Sie würde versuchen, ihm noch den einen oder anderen ähnlich gelagerten, ungelösten Fall unterzujubeln. Auch für die Öffentlichkeit war es ein klarer Fall, der Irre weggeschlossen und somit alles zum Besten.
    Vorne, im Zwerchfell, spürte ich, daß ich der erste sein würde, der in die andere Richtung forschen würde. Jungfräuliches Terrain. Und nachforschen würde ich. Und nicht nur allein deshalb, weil Veronika van Laar die sanfte Überredungsgabe eines

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