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Prickel

Prickel

Titel: Prickel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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großziehen -doch für die Vögel selber, glaube ich, ist das ganz schön stressig. Dann rollte ich auf den Parkplatz, und der riesige graue Kasten warf seinen Schatten über mich. Der Anblick genügte, um mir eine endlose Kette von Dingen durch den Kopf schießen zu lassen; Dinge, die ich jetzt lieber machen würde.
    Ich zerdrückte die Kippe im Ascher, öffnete die Türe, setzte einen Fuß raus, dann noch einen. Ich machte das Radio ein ganz klein bißchen lauter und ließ die Seitenscheiben runtergedreht. Hinten die war ja eh offen. Ging gemächlich bis zum Tor. Drehte der Videokamera meine Schokoladenseite zu, hob den Finger auf Brusthöhe und wartete den Gong der Radionachrichten ab, der schwach vom Auto herübergeweht kam, ehe ich auf die Klingel drückte. Es war exakt vierzehn Uhr.
    Eine Jahreszeit später hatte der Pförtner meine Papiere kontrolliert, und wer kam mich holen, wenn nicht Pfleger Weber, die zarte Seele. Er sah mich überrascht an, regelrecht unsicher.
    »Früh dran«, fand er, sei eine angemessene Begrüßung.
    »Termin verlegt«, gab ich zurück. Erst Ratingen, dann Heiner. Ganz einfach. Weil, ich versprach mir da was von.
    Vor der Zelle angekommen, sagte ich: »Von mir aus können Sie sich die Fesselei schenken.«
    »Vorschrift.« »Merkt doch keiner.«
    Statt einer Entgegnung lächelte Weber nur still in sich hinein, wie über einen privaten Witz, bevor er der Türe eins mit dem Schlagstock gab und seine üblichen Kommandos brüllte. Zwei Minuten später war ich mit Bernd Roselius allein. Ein eigener, privater kleiner Gedanke machte mich ganz leicht lächeln. Roselius war zwar gefesselt wie eh und je, und seine ganze Haltung drückte eine tiefe Mattigkeit aus, aber sein Blick - der war klar.
    So, und jetzt schön langsam und ruhig. Was hatte Walter Vogel gesagt? Immer nur eine Frage auf einmal und - Geduld! Also .
    »Was dagegen, wenn ich rauche?« fragte ich. Und faßte mich in Geduld.
    Hier hatten sie wenigstens richtige Zellenfenster. Hoch oben an der Wand, klar, und vergittert, sicher, aber Fenster. Zum Auf- und Zumachen. Zum Luftreinlassen. Zum Durchgucken. Zum Pendeln, wenn die Mitinsassen nicht alle vollkommen durch den Wind waren.
    In Wuppertal hatten wir nur Glasbausteine gehabt. Glasbausteine, immerwährende Rund-um-die-Uhr-Beleuchtung und Klimaanlage. Un-menschlich.
    Der Fensterflügel stand offen, also packte ich die Gitterstäbe und zog mich hoch, bis ich rausgucken konnte. Naja. Viel an Aussicht war es nicht. Das Fenster ging nach hinten raus, auf den blöden Acker. Ein paar Möwen hopsten darauf herum.
    Immerhin, dachte ich gerade, als eine ziemlich helle Stimme neben mir »Nein« sagte.
    Ich ließ mich auf die Füße fallen und sah Roselius überrascht an. Was, zum Deibel noch mal, hatte ich ihn gefragt gehabt? Rauchen, ja. Unsicher gaffte ich auf meine brennende Zigarette. War es ihm jetzt recht oder nicht? Ach, scheiß drauf. Ich schnickte sie durchs Fenster, zog mir den Plastikhocker ran. Wir blickten uns an.
    »Möchtest du gerne hier raus?« Ich hatte mich fürs >Du< entschieden. Machten eh alle, da war ich mir sicher. Irgendwie hatte er eine alterslose Babyhaftigkeit an sich, die man unmöglich siezen konnte. Nur >Prickel< würde ich mir klemmen. Ein blöder Spitzname.
    »Ja.«
    Ich hatte keine Uhr um, aber fünf Minuten hatte er gebraucht. Für ein schlichtes >Ja<.
    »Ich könnte dir helfen«, sagte ich und ließ etwas Zeit verstreichen. Ich hatte vergessen, Vogel zu fragen, wie schnell er hier kapierte.
    »Nur, dazu müßtest du mir helfen. Wirst du das tun?«
    >Was hat er<, hatte ich Vogel gefragt. >Wenn er kein Autist ist, und nicht schizophren, nicht taubstumm und auch nicht komplett schwachsinnig, was hat er dann?<
    »Das hat keinen Namen«, hatte er geantwortet. »Ich nenne es das >Schachspielersyndrom<.«
    »Ja«, sagte Roselius wieder und nickte diesmal dazu. Fünf Minuten. Und das waren noch leichte Fragen. Was mich am allermeisten fuchste, war, daß ich nicht wußte - durfte ich jetzt rauchen oder nicht? Ich hätte sonst von der Frage bis zur Antwort immer schön eine paffen können.
    Nächste Frage: »Wer hat die Frau umgebracht?« Ich hätte noch anfügen können, daß ich die absolute Wahrheit hören wollte. Dann hatte ich's mir geschenkt. Belogen wird man ja so oder so.
    In dem Gesicht meines Klienten arbeitete es. Das Thema schien ihn aufzuregen. Verstehen konnte man's. Die Antwort ließ auf sich warten.
    Auch Geduld, mußte ich feststellen, ist, wie

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