Principia
stopfte sich geschickt eine Handvoll von dem Gewand der römischen Priesterin zwischen die Schenkel.
»Vielleicht weiß Euer Onkel am Ende ja doch etwas«, sagte Daniel. »Wenn man einen toten Roger mit einem lebendigen Daniel vergleicht, erscheint es mir so offensichtlich, dass es da etwas gibt, was dem einen fehlt und was der andere hat!«
»Ihr habt jetzt etwas weniger davon«, sagte Miss Barton schelmisch. Dann drehte sie den Kopf zu einer Seite und horchte auf ein Geräusch draußen, das Daniel nicht wahrgenommen hatte. »Wer da?«, rief sie und raffte ein gutes Stück Plane zusammen, bereit, sie zurückzuschlagen. »Tut das nicht!«, rief Daniel, denn er sah höchst unschicklich aus.
»Die Diener haben schon sehr viel Schlimmeres gesehen!«, erwiderte sie mit einem Augenrollen und tat es doch. Die Plane flog zurück und landete gefaltet wie ein kleines Dach über Daniels Kopf. Er blickte darunter hervor ins Gesicht von Isaac Newton, der mit dem Rücken zu dem Vulkan in dessen lampenhellem Lichtschein stand.
»Ich bin sofort gekommen, nachdem ich die schreckliche Nachricht vernommen hatte«, verkündete Isaac irgendwann in der etwa eine halbe Stunde währenden Zeitspanne, in der Daniel sprachlos war, kurz und knapp. Isaac hatte nicht den Hauch von Überraschung darüber gezeigt, Daniel hier, noch dazu in dieser Pose anzutreffen. Das warf interessante Fragen auf. Hatte er sie die ganze Zeit über belauscht und deshalb hinreichend Gelegenheit gehabt, seine Wut und Verwunderung in den Griff zu bekommen? Oder war seine Meinung über Daniels Charakter inzwischen so abgrundtief schlecht, dass er einfach gar nichts mehr fühlte?
»Aber wie es scheint«, fuhr Isaac fort, »werden die Dinge hier ja bereits in die Hand genommen.«
»Das werden sie, Onkel«, sagte Miss Barton und glitt von dem Streitwagenbett herunter, um ihrem Verwandten ein züchtiges Küsschen auf die Wange zu drücken.
»Kann ich euch bei irgendetwas hilfreich zur Seite stehen?«, wollte Isaac wissen.
Daniel fiel nichts ein. Später würde er reichlich Zeit haben, diesen Moment noch einmal zu durchleben, seine Verlegenheit auszukosten und zu verstärken. Was ihm jetzt durch den Kopf ging, als er in seinem nur noch halb an ihm hängenden Nachtgewand dasaß, den Blick auf den vollständig angezogenen Isaac gerichtet, war, dass die Kunde von Rogers Tod sich schon verbreitet haben musste und dass in diesem Moment in ganz London Menschen wach waren und Daniel auf Arten, von denen er vermutlich nie erfahren würde, ausmanövrierten.
Das Kastell, Newgate - Gefängnis
29. SEPTEMBER 1714
Ein mit Türmen versehenes Kastell überspannte die Holborn. Auf der Seite, wo der Gentleman und sein Gastgeber Tee tranken, prunkte das Gebäude mit einer vornehmen Fassade, um bei den Reitern, die von Westen her nach London kamen, Eindruck zu schinden. Das Erdgeschoss bestand hauptsächlich aus dem gewölbten Bogen des Tors. Das Stockwerk darüber enthielt die Maschinerie für das Heben und Senken des belagerungstauglichen Fallgatters; dieses wurde von einer Reihe von Nischen verdeckt, in denen Freiheit, Gerechtigkeit und andere vornehme Damen vor dem Regen Zuflucht suchten. Das hatte sie allerdings nicht davor bewahrt, vom Kohlenrauch schwarz gefleckt zu werden. So funkelten sie nun wie Furien auf alle hinab, die unten vorbeikamen. Das nächsthöhere Stockwerk dagegen war mit einem gotischen Dreifachfenster geschmückt, das sich genau mittig über der Straße befand, ganz ähnlich der Klappe vorne an einer deutschen Uhr, aus der zur vollen Stunde der Kuckuck herausschnellte. Hinter diesem Fenster lag Jacks neues Domizil. Herausschnellen würde er jedoch nicht, da das Fenster schwer vergittert war. Als Erster musste ein Schmied diese Wohnung bewohnt und in dem Monat, den er hier verbracht hatte, diese Roste geschmiedet und in die Steinfassungen eingesetzt haben. Es waren aber hervorragende Fenster, die, höher als Jack und breiter als seine Armspanne, trotz der massiven Gitterstäbe Licht im Überfluss hereinließen.
Das Kastell, wie dieser Teil des Newgate-Gefängnisses hieß, war für vornehme Häftlinge gedacht. Deshalb fehlten ihm gewisse Vorrichtungen, die in anderen Teilen des Gefängnisses in Hülle und Fülle vorhanden waren, wie zum Beispiel eiserne Wandringe, an die schwierige Häftlinge gefesselt werden konnten. Hier hatten die Wärter Improvisationstalent beweisen müssen. Eine hundert Pfund schwere Kette war um einige der Gitterstäbe gewunden, über
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