Prophetengift: Roman
»darf ich dich heute Abend ausführen, zu einem echten Date? Ich verspreche dir, nicht so langweilig zu sein wie heute Mittag.«
»Hast du gar keine Angst, an Land zu gehen? Ich habe da so ein furchtbares Gerücht gehört, dass es in Sausalito Christen gibt.«
Sebastian lachte. »Nur du weißt, wo ich bin. Solange ich also nicht zu Coby zurückkehre, bin ich in Sicherheit.« Sebastian schob langsam die Gashebel nach vorn, worauf das Boot vorwärts zu gleiten begann. »Außerdem empfange ich Warnungen, wenn jemand in der Nähe ist, der es auf mich abgesehen hat. Und genau das ist gestern Abend passiert.«
»Du glaubst also wirklich, dass du hier draußen sicher bist?«
»Na klar«, sagte er selbstbewusst lächelnd. »Aber weil es mir ein wenig schwerfällt, dich heute Abend mit diesem Kahn zum Essen abzuholen – könntest du vielleicht noch mal zum Hafen runterkommen, so gegen fünf?«
»Das könnte ich ... einrichten.«
»Dann kümmere ich mich ums Essen, hier auf dem Boot, oder vielleicht könnten wir auch im Hafenviertel in einem dieser kleinen Candlelight-Restaurants essen. Einverstanden?«
»Einverstanden«, sagte sie mit leuchtenden Augen.
Sebastian erwiderte ihren Blick, dann drückte er die Gashebel weiter nach vorn und das Motorboot sprang in schneller Fahrt über die Wellen zwischen Angel Island und dem fernen Ufer von Sausalito.
30
Samstagmittag
»Wow, du hast dich kein bisschen verändert«, sagte Chuck zu Kitty. »Zumindest, soweit ich das durch die große Sonnenbrille erkennen kann.«
Kitty blickte sich im rappelvollen Denny’s um, um festzustellen, ob irgendwer sie erkannt hatte, aber sie sah bloß Grüppchen ärmlicher Leute, die sich auf ihre Speisekarten konzentrierten und Berge von Pommes verdrückten, sowie abgekämpfte Bedienungen, die von den Tischen zur Küche und zurück eilten.
Enttäuscht widmete sich Kitty wieder dem hochgewachsenen Mann, der ihr in der Nische gegenübersaß. Der kleine, dunkelhäutige Kellner brachte ihr ein Glas Wein und Chuck einen Becher schwarzen Kaffee.
»Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob ich mich an Sie erinnere«, log Kitty. »Aber vielleicht haben Sie damals ja auch ganz anders ausgesehen. Was ist denn bloß passiert?«
»Na ja«, sagte Chuck und trank vorsichtig einen Schluck von seinem heißen Kaffee, »mir sind die Haare ausgefallen, das macht schon einen großen Unterschied, weißt du. Aber vor allem liegt das wahrscheinlich am Meth; das hat meiner Haut wirklich geschadet, nachdem ich angefangen hatte, es zu schnupfen. Und die viele Sonne, das Rauchen und die Zeit im Knast haben auch nicht gerade geholfen.« Er lachte nervös. »Aber ich habe ein Foto mitgebracht, um dich daran zu erinnern, wie ich damals
ausgesehen habe.« Er zog – mit zittriger Hand – ein vergilbtes Foto aus der Bauchtasche seines Kapuzen-Sweatshirts und reichte es ihr.
Kitty schob sich die Chanel-Sonnenbrille auf die Stirn, um sich das Foto des gut aussehenden jungen Surfers anzuschauen, dem die zotteligen blonden Haare bis auf die Schultern fielen.
Wie konnte jemand, der so gut aussah, bloß zulassen, dass er so schlecht alterte? Großer Gott, Meth ist wirklich so übel, wie alle immer sagen.
Sofort tauchten unzusammenhängende Bilder aus jener Nacht auf.
»Ich weiß immer noch nicht genau, ob ich mich an Sie erinnere.« Kitty drückte sich die Brille zurück auf die Nase. »Keine besondere Erinnerung, überhaupt keine.« Sie reichte das Foto zurück und verzog das Gesicht, als sie den ersten Schluck des billigen Chardonnays trank.
Chuck war geknickt, bemühte sich aber, es sich nicht anmerken zu lassen. »Warum bist du dann gekommen, wenn du mir noch immer nicht glaubst? Ich meine, warum bist du hier?«
Kitty trank noch einen Schluck, dann sagte sie: »Ich will ganz offen zu Ihnen sein, Mr Niesen, denn ich habe nur ein paar Minuten Zeit. In erster Linie bin ich gekommen, um herauszufinden, was Sie von mir wollen.«
Chuck zuckte mit den Schultern. »Ich möchte nur wissen, ob, na ja, du weißt schon, Sebastian mein Sohn ist, und ich möchte ihn kennenlernen. Es ist doch ziemlich normal, wenn man sich fragt, zu was für einem Mann der Sohn herangewachsen ist. Mehr will ich gar nicht.«
»Und wie wollen Sie beweisen, dass er tatsächlich Ihr Sprössling ist?«
»Ich würde mich einfach mit ihm zusammensetzen oder einen gemeinsamen Spaziergang machen, um festzustellen, ob es da eine Art von Verbindung zwischen uns gibt ... mal sehen, ob es sich so
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