Puppen
und es gab keine größere Verletzung der Privatsphäre.
Außerdem erinnerte sich Tuvok in diesem Zusammenhang an einen Befehl von Captain Janeway: »Keine weiteren
Mentalverschmelzungen ohne meine Genehmigung – ist das klar?«
Aber er hatte gehört, wie der alte Urrythaner den größten Wunsch seines Lebens zum Ausdruck brachte: Er wollte Zeuge des Erwachens werden. Aus Voks eigenem Mund hatte er es gehört, und jene Worte interpretierte er nun als notwendige Erlaubnis. Inzwischen hatte der Älteste eine andere
Existenzebene erreicht, und vielleicht hielt er nicht viel davon, ins Diesseits zurückgeholt zu werden. Wie dem auch sei: Grundlage für Tuvoks Handeln blieb zunächst ein von Vok geäußerter Wunsch.
Und dann die anderen, jene Urrythaner, die sangen und noch immer den Altar umgaben. Sie sollten die lange Tradition fortsetzen, während der nächsten zehntausend Jahre. Vok hatte durch Wort und Tat zu erkennen gegeben, daß ihm die
jüngeren Urrythaner viel bedeuteten. Er selbst war bereit gewesen, seiner Verantwortung unter allen Umständen gerecht zu werden. Eigentlich sollte er es nicht bedauern,
vorübergehend aus dem Langen Schlaf zurückgeholt zu werden, damit er die Sänger aus der Trance befreien und ihnen damit das Leben retten konnte.
Schließlich blieb keine Zeit mehr für Sorgen – Tuvok mußte sich voll und ganz auf die Aufgabe konzentrieren. Er spürte, wie seine Gedanken durch die peri-phere Membran von Voks Bewußtsein glitten, und dann befand er sich plötzlich in der urrythanischen Selbstsphäre. In ihrem Innern gewann das Lied der Einen Stimme eine schier überwältigende Qualität. Es übertönte und überlagerte alles andere, wob fast auch Tuvok ein in ihr akustisches Geflecht. Er kämpfte dagegen an und blieb auf seine Absichten konzentriert, um Herr über das eigene Ich zu bleiben. Er brauchte etwas, um das urrythanische Selbst mit der physischen Hülle zu verbinden, in der es sich befand – etwas, das den Ruf der Harmonie beiseite drängte und Individualität schuf.
Zuerst suchte er vergeblich. Vok schien überhaupt nicht mehr als separate Identität zu existieren, sondern völlig Teil der zentralen Melodie zu sein, die von seinen Ahnen gesungen wurde. Tuvok drang noch weiter vor, in die fernen Ichgewölbe jener Person, der er – vor einer Ewigkeit – im Dschungel begegnet war. Hier und dort, genau an den richtigen Stellen, setzte er disharmonische mentale Energie frei. Doch nichts geschah. Er wollte schon aufgeben und zurückweichen, als er plötzlich etwas entdeckte.
Es war kaum mehr als ein Gedankenfragment, etwas, das sich noch nicht völlig angepaßt hatte und erst noch seine Struktur ändern mußte, um sich dem Ganzen hinzuzufügen. Vielleicht betraf die Zeremonie, der Kayla unterzogen worden war, genau diesen Vorgang. Vielleicht ging es bei dem Ritual darum, die letzten Verbindungen zur Welt des Physischen zu
unterbrechen. Tuvok streckte die mentalen Hände nach dem Fragment aus und zog es fort von dem fremden Einfluß, der seine Struktur zu verändern versuchte.
Er trachtete danach, es in einen Kokon zu hüllen, den er aus seinen eigenen Gedanken spann. Der Vulkanier projizierte Bilder jener Welt, in der er stand: die Ruinen, der Dschungel, Ambiana-Pflanzen mit ihren großen, safrangelben Blumen; Bilder der Urrythaner, die nach wie vor einen Kreis bildeten und sangen, denen jetzt der Tod drohte. Er fügte Eindrücke vom Erwachen hinzu, von den Tunneln, in denen er unterwegs gewesen war, von den Vibrationen und Erschütterungen, von Spalten und Rissen, die sich überall im Leib der Welt bildeten.
Tuvok wußte nicht, welche Mittel sich besser eigneten als andere, und deshalb probierte er alle aus. Er beobachtet, wie sich das Fragment aus dem akustischen Geflecht zu lösen begann. Er begriff, daß es ihm gelungen war, den Vorgang der Aufnahme und Absorption zu stören, vielleicht sogar
aufzuhalten. Aber er spürte auch, wie seine Kräfte allmählich nachließen.
Mit einer letzten Anstrengung, für die er seine geistigen Kraftreserven mobilisierte, schloß er die mentalen Hände fester um das Fragment und zerrte noch entschlossener. Tuvok ließ es nicht los, als er in Richtung Membran zurückkehrte und sie erneut durchstieß, um wieder nach draußen zu gelangen. Er kippte nach hinten, aber Arme hielten ihn fest und stützten ihn.
Der Vulkanier wußte nicht, ob er es geschafft hatte, Vok in die reale Welt zurückzuholen, oder ob jenes letzte Fragment endgültig
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