Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln
» Die Kalköfen? Und gemütlich mit Hocine schwatzen? Das könnte dir so passen! Nichts da, zur Strafe musst du mich heute zum Grab des Sîdi Kaouki begleiten.« Sie bemühte sich um einen heiteren Ton und war froh, als Miguel erleichtert lächelte. Für ihn war die Sache damit ausgestanden.
Sie hingegen hatte erkannt, dass die Angst, die Verkrampfungen und das Entsetzen jederzeit erneut in ihr hervorbrechen konnten. Wenn auch kein Fluch auf ihr liegen mochte – wog die Todesangst denn leichter?
Miguel strahlte. » Was immer du befiehlst! Und noch dazu mit dem größten Vergnügen!«
Sie sahen in der Kalkbrennerei nach dem Rechten, dann ritten sie einträchtig am Strand entlang. Mirijam deutete nach vorne. » Siehst du die weiße Kuppel dort, auf den Dünen?«
» Neben dem ausladenden Baum?«
Mirijam trieb ihr Pferd bereits an und rief: » Wer als Erster dort ist!«
Sie war längst abgestiegen und ging auf den Baum neben dem kleinen Gebäude mit dem Kuppeldach zu, als auch Miguel endlich sein Pferd neben ihr zum Stehen brachte.
» Noch einmal wirst du mich nicht überraschen, meine Schöne, das nächste Mal bin ich nicht nur auf deine Schläue, sondern auch auf deine Reitkunst gefasst. Was hat es mit diesem Ort auf sich?«, fragte Miguel.
» Es ist ein Heiligtum der Frauen. Sie beten zu Sîdi Kaouki, dessen Grab dort drüben steht, und vertrauen ihm ihre Wünsche an«, antwortete Mirijam. Dann deutete sie auf die zahllosen bunten Bänder und Stofffetzen, die an den Zweigen des uralten Baums befestigt waren. » Außerdem knüpfen sie einen Faden oder ein Tuch an diesen heiligen Baum, damit die alten Götter aus der Zeit vor dem Propheten Mohammed ebenfalls von ihren Wünschen erfahren.« Mirijam zog einen leuchtend blauen Stoffstreifen aus ihrer Tasche.
» Glaubst du daran?«, fragte er und blickte nervös umher.
Mirijam, die Miguels Unbehagen bemerkte, bemühte sich um Sachlichkeit. » Manchmal ja, dann wieder nicht. Heute ist so ein Tag, an dem ich daran glaube. Lässt du mich bitte einen Augenblick allein?«
Muslimische Heilige, heidnische Götter und geheime Wünsche von Frauen? Unsicher nestelte Miguel an seinem Halstuch. Meu Deus, was denn noch? » Claro, selbstverständlich«, murmelte er und zog sich ein Stück zurück.
Nach einer Weile kam Mirijam zu ihm, setzte sich neben ihn in den Sand und erklärte: » Einmal im Jahr wird hier ein moussem gefeiert. Dann sind Hügel und Strand übersät mit Zelten, überall wird gekocht und gegessen und Musik gemacht. Händler kommen, der Hafen liegt voller Boote, es gibt Reiterspiele, und man hat für einige Tage den Eindruck, Mogador sei wie früher eine wichtige Handelsstation auf dem Weg in den dunklen Süden Afrikas.«
» Du liebst dieses Fleckchen Erde, habe ich recht?«
» Es ist mir Zuflucht und Heimat, etwas anderes habe ich nicht.«
Da war sie wieder, diese leise Abwehr, die er schon mehrmals gespürt hatte. War es Zurückweisung oder Unsicherheit? Er blickte sie von der Seite an. Sie hielt den Blick gesenkt und zupfte an einem Halm zwischen ihren Füßen. Die Haare fielen ihr vors Gesicht, doch er sah, dass sie sich auf die Lippen biss. Miguel fasste sie an den Schultern und drehte sie zu sich herum. Er forschte in ihrem Gesicht, dann strich er mit einem Finger über ihre Lippen. » Nicht reden«, sagte er.
Die Berührung traf sie bis ins Innerste.
» Kannst du mir vergeben?«, flüsterte er. » Bei allem, was mir heilig ist, schwöre ich, es wird nie wieder etwas gegen deinen Willen geschehen.«
Mirijam merkte, dass sie zitterte, und schloss die Augen.
Erneut glitt sein Finger über ihren Mund. » Azîza«, flüsterte er, » du bist ein Wunder für mich, weißt du das?«
Seine Stimme war wie eine zusätzliche Berührung. Mirijam spürte, wie ihr eine Hitzewelle den Hals hinauf und in die Wangen stieg. Sie schlug die Augen auf und erwiderte seinen Blick.
Miguel nahm den Finger fort und beugte sich vor. » Wirst du mich schlagen, wenn ich dich jetzt küsse?«
Sie konnte nichts sagen, nur leicht den Kopf schütteln, als er sie in die Arme nahm und küsste.
Bald musste Miguel aufbrechen. Im Hafen lag die Santa Anna zum Auslaufen bereit.
» Komm bald zurück!« Mirijam legte die Hand, an der der tiefrote Ring glänzte, an seine Wange.
» Ganz sicher, ich werde schon sehr bald zurückkommen.« Miguels blaue Augen blinzelten fröhlich. Er fing ihre Hände ein, um jede ihrer Fingerspitzen einzeln zu küssen. Seine Küsse brachten ihre Haut
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