Pusteblume
über die Kämpfe, die in ihr tobten. Das lag nicht daran, daß sie es nicht
wollte,
sondern sie
konnte
nicht darüber sprechen. Konnte nicht in Worte fassen, welche enorme Aufgabe vor ihr lag.
Sie beobachtete Milo und Liv, sie hörte sich Katherines berauschende Schilderung an und dachte: So
mußte es eigentlich sein.
»Jetzt weißt du also«, sagte Tara mit einem gequälten Lächeln zu Ravi, »warum ich einen Wagen brauche.«
»Ich gucke gleich mal in den gelben Seiten«, versprach er.
»Du findest doch auch, daß ich ihn verlassen soll, oder?« fragte sie ihn angsterfüllt.
»Aber du hast mir doch gerade…«
»Ich hatte gehofft, du würdest mir sagen, daß ich völlig übergeschnappt sei.«
»Bist du aber nicht«, sagte er traurig.
»Ich habe solche Angst.« Sie steckte sich eine Zigarette in den Mund, und er gab ihr Feuer. »Vor dem Alleinsein. Alt zu sein und keinen abgekriegt zu haben. Ich werde nie wieder einen Mann finden.«
»Natürlich findest du jemanden.«
»Woher willst du das wissen? Eine dicke Tonne wie ich. Oh, Ravi, du hättest Katherine am Samstag sehen sollen. Diese Aufregung, diese Vorfreude. Es war wunderbar, als wäre sie wieder ein Teenager. Ich habe das richtig gespürt.«
»Ja, aber diese Aufregung dauert nicht lange«, sagte er besorgt. »Auch bei Danielle und mir –«
»Trotzdem«, unterbrach sie ihn, »wenn zwei Menschen eine Beziehung haben, dann sollten sie einander wenigstens mögen, oder?«
»Und du magst Thomas nicht?«
»Nein. Und er mag mich nicht. Wenn er mich mögen würde, dann würde er mir nicht dauernd erzählen, daß ich fett wie eine Tonne bin. Irgendwas stimmt doch nicht, wenn er mich dauernd verändern will, oder?«
»Ja, da hast du vollkommen recht. Das versuche ich dir schon seit langem zu sagen.«
Tara sah nachdenklich an ihm vorbei. »Ich habe es gewußt, und dann auch wieder nicht, falls du weißt, was ich meine.«
»Du hast es gewußt, aber du
wolltest
es nicht wissen.«
Die Schwarzweiß-Stummfilm-Version ihres Lebens in Zeitlupe schaltete plötzlich um auf Farbe mit Ton und lief in normaler Geschwindigkeit.
Der Schock ließ nach, die Trauer trat in den Hintergrund, jetzt hatte Tara nur noch Wut.
Massenhaft Wut.
62
A ls Katherine am Montagmorgen zur Arbeit kam, war Joe schon da, aber er sah nicht einmal auf. Das war’s also, dachte sie mit unaussprechlicher Bitterkeit. Falsch verstanden. Mal wieder.
Bedrückt hängte sie ihren Mantel auf und schlich sich zu ihrem Schreibtisch. In dessen Mitte prangte ein Paket. Eingewickelt in blau-goldenes Designers-Guild-Papier; es enthielt also offensichtlich nicht die neuesten Ausdrucke der Steuergesetzänderungen von der Regierungsdruckerei.
»Was ist das?« fragte sie Charmaine.
»Keine Ahnung, es war schon hier, als ich kam.« Katherine nahm das Paket in die Hand und befühlte es.
Der Inhalt war weich und biegbar.
»Mach es auf«, sagte Charmaine.
»Na gut…«, sagte sie bedächtig. Ob es Grund zur Freude gab? Wer würde ihr ein Paket auf den Tisch legen, wenn nicht Joe?
Vorsichtig, damit das schöne Papier nicht einriß, zog Katherine das Tesafilm ab.
»Reiß es einfach auf!« drängte Charmaine sie. »Mach schon, laß dich gehen.«
Sie tat es, und heraus kam etwas Weißes aus Plastik, das sich vor ihr entfaltete.
»Was soll das denn?« fragte Charmaine.
Katherine betrachtete es und lächelte plötzlich über das ganze Gesicht.
»Was ist das?« fragte Charmaine. Sie war ganz verstört.
»Es ist eine Matte, die man in die Badewanne legt«, sagte Katherine grinsend. »Damit man nicht rutscht.«
Aus dem Augenwinkel sah sie zu Joe hinüber, aber der war sehr beschäftigt. Sehr konzentriert auf das, was er auf seinem Bildschirm sah. Außerordentlich konzentriert. Katherine konnte praktisch sehen, wie seine Nackenmuskeln vor Anspannung zitterten, weil er sich zwang, nicht aufzusehen.
»Und von wem ist das?« fragte Charmaine mißtrauisch.
»Keine Ahnung.«
»Ist keine Karte dabei?«
»Nein.«
»Komisch.«
Als Katherine ihren Computer anschaltete, stellte sie fest, daß sie eine E-Mail bekommen hatte, in der stand: »Damit wir beim nächsten Mal nicht rutschen.«
In Windeseile schrieb sie: »Wann möchtest du das nächste Mal nicht rutschen?«, schickte es ab und wartete. Dann war sie sich unsicher, ob sie zu aufdringlich gewesen war.
Mach schon,
drängte sie Joe,
antworte mir.
Nach ungefähr drei Minuten sah sie, daß er etwas auf dem Bildschirm anklickte. Oh, er machte seine Mail auf,
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