Pusteblume
riß sie eine Tüte Mäusespeck auf. Dann eine zweite. Dann eine Fleischpastete. Und dann kam sie zu der Keksabteilung.
Sie konnte sich nicht bremsen und griff nach einer Packung Schokoladen-Nuß-Kekse. Sie betrachtete sie gierig.
Vielleicht besser nicht,
dachte sie. Aber eine kleine böse Stimme hielt dagegen:
Wieso eigentlich nicht?
Einen Augenblick war sie unentschlossen, sie zitterte vor Verlangen und Vorfreude. Mit einem Rauschen in den Ohren, als eine Welle Adrenalin durch sie hindurchwogte und alles mit sich schwemmte, brach sie die Packung mit zittrigen Fingern auf.
Es ging alles in Windeseile, die Hand flog immer wieder hastig zum Mund, Krümel, Schokoladenbrocken, einzelne Nüsse und Verpackungsteile fielen um sie herum zu Boden. Sie war außer sich, fast in Ekstase, obwohl sie kaum etwas von dem schmeckte, was sie sich in den Mund schob, weil sie es sofort herunterschluckte und die Geschmacksnerven nicht in Aktion treten konnten. Nur für den Durchgangsverkehr.
Schnell, allzu schnell war der Anfall vorüber. Sie kam wieder zu Sinnen, und sogleich erfüllte sie auch Scham. Obwohl ihr brüllender Hunger und ihr Kummer beschwichtigt waren, fühlte sie sich hundeelend. Beschämt schlich sie zur Kasse, mit gesenktem Kopf ließ sie es zu, daß die Kassiererin die leeren Tüten über den Scanner zog. Doch wenn sie die Verpackungen versteckt hätte, wäre sie möglicherweise wegen Ladendiebstahls festgenommen worden. Sie war eine von denen, die geschnappt wurden.
Was war nur in sie gefahren? fragte sie sich unglücklich. War sie verrückt geworden? Ein ganzer Tag der Kasteiung, ausgelöscht in einem zehnminütigen Anfall. Wenn sie nur daran dachte, wieviel sie an gesättigten Fettsäuren zu sich genommen hatte! Was war mit ihrer Diät? Was mit ihren guten Vorsätzen? Mit ihren ganzen Bemühungen? Wäre sie nicht fast in den Steptanzkurs gegangen, und waren jetzt nicht alle ihre Anstrengungen zunichte gemacht?
Sie bemerkte, daß der junge Mann sie wieder anstarrte. Jetzt dachte sie nicht mehr, daß er was von ihr wollte. Dann fiel ihr Thomas ein. Und der Schrecken kehrte zurück.
Sie hatte Thomas angeschrien, und sie hatte ihre Diät gebrochen. Sie war nicht nur fett, sie war außerdem noch eine Xanthippe. Was hatte sie bloß getan? Die Situation mit Thomas war viel zu heikel, als daß sie es riskieren konnte, ihn als Goldfisch zu bezeichnen. Vor Angst und hohem Blutzuckerspiegel zitternd fuhr Tara nach Hause. Sie hatte so viele Fremdstoffe im Blut, daß sie von keinem Gericht im Land verurteilt worden wäre, wenn sie mit einer Schrotflinte Amok gelaufen wäre.
Thomas saß am Küchentisch und qualmte vor sich hin. Neben ihm in ihrem Körbchen saß Beryl. Besorgt sah er auf, als Tara hereinkam. »Hallo«, sagte er mit einem süßen, nervösen Lächeln.
»Es tut mir leid, daß ich dich angeschrien habe.« Sofort nahm sie alle Schuld auf sich. Sie war es gewohnt, daß er die Macht hatte, und nahm an, es sei ein Fehler, daß sie ihr in die Hände gefallen sei. Jetzt gab sie sie ihm zurück, wie eine Brieftasche, die sie gefunden hatte und an den rechtmäßigen Besitzer aushändigte. »Ich kann es gut verstehen, wenn du wütend auf mich bist. Es tut mir sehr leid, und ich gebe dir mein Wort, daß ich morgen mit einer ganz strengen Diät anfange.«
Mit jedem ihrer zerknirschten Worte verpuffte Thomas’ niedergeschlagene Stimmung mehr, und seine lässige Arroganz kehrte zurück. Seine Brust weitete sich zusehends, sein bedrücktes Hundegesicht war schon bald bloße Erinnerung. Als Tara ihm von Fintans KiwiSchwellung am Hals erzählte, war Thomas sich seiner selbst wieder so sicher, daß er sagte: »So wie er’s treibt, kann er froh sein, daß es nur sein Hals ist, der ihm Probleme macht.«
22
L orcan Larkin war Schauspieler. Mit Schauspielerei verdiente er angeblich seinen Lebensunterhalt, aber damit gestaltete er auch sein Privatleben. Als junger Mann war er in Irland sehr erfolgreich gewesen, sozusagen ein Superstar. In
The Playboy of the Western World
und in
Juno and the Peacock
hatte er ein regelrechtes Feuerwerk auf der Bühne entfacht und die anderen Schauspieler an die Wand gespielt. Er war bei seinen Kollegen sowieso nicht besonders beliebt, und danach haßten sie ihn.
Ein paar Jahre hatte er in einer irischen Seifenoper die Rolle eines Schürzenjägers gespielt. Das erwies sich als sehr nützlich, weil er sein scheußliches Benehmen im wirklichen Leben damit entschuldigen konnte, daß er als
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