Quade 01 - Verzaubert von deinen Augen

Mister Harrington«, sagte sie,
eine Spur hochmütig, was dem jungen Mann die Röte in die Wangen trieb. »Sie
waren mir eine große Hilfe.«
    Draußen im Freien starrte Lydia
einen Moment lang ärgerlich zum Berg hinüber. Dann raffte sie resolut ihre
Röcke und begann den Aufstieg über den schmalen, von Mauleseln und Zugochsen
ausgetretenen Pfad.
    Beide Seiten des Wegs waren mit
dichtem Gestrüpp bestanden, denn dies war ein neues, noch jungfräuliches Land
und fast dschungelähnlich in seiner üppigen Vegetation. Farne und Beerenbüsche
bedeckten den Erdboden, und die Bäume wuchsen so dicht, daß ein Ellbogen kaum
dazwischen Platz fand. Das Kreischen der Sägen aus der Mühle wurde schwächer,
je höher Lydia stieg, aber dann begann sie das Geschrei der Männer auf dem
Berg zu hören, das Brüllen der Ochsen und Maulesel und das beständige Hacken
der schweren Äxte.
    Nach fünfzehn Minuten anstrengenden
Kletterns erreichte Lydia das größte Lager, eine willkürliche Ansammlung von
Zelten und Planwagen. Irgendwo im Zentrum brannte ein Lagerfeuer, neben dem
Elly Collier stand und in einem riesigen Topf rührte, der an Eisenstäben über
der Feuerstelle hing.
    Die grobknochige Frau lächelte, als
sie Lydia sah, und für einen Moment bekam Lydia Gewissensbisse, weil sie nicht
früher zu einem Höflichkeitsbesuch gekommen war.
    »Hallo, Elly«, sagte sie lächelnd.
»Ich nehme an, Sie wissen, daß Jessup und Samuel gute Fortschritte im
Unterricht machen.«
    Elly strahlte. Sie war keine hübsche
Frau; ihre Gesichtszüge waren zu grob, ihr Körper zu plump, aber wenn sie
lächelte, war es, als träte man an einem eiskalten Wintermorgen an einen warmen
Ofen. »Dann besteht ja doch noch Hoffnung für die beiden«, erwiderte sie mit
dröhnender Baßstimme.
    Es schmerzte Lydia ein wenig, ihre
Begeisterung und ihren Stolz zu sehen. Es war ganz natürlich für eine Mutter,
Zukunftshoffungen für ihre Kinder zu nähren, aber das Leben war voller
Gefahren. Manchmal wuchsen Jungen nur auf, um Soldaten zu werden und schreiend
auf Schlachtfeldern zu sterben. Und wenn es nicht der Krieg war, dem sie zum
Opfer fielen, dann vielleicht der Alkohol, ein umstürzender Baum oder die
Kugel eines anderen Mannes.
    Elly klopfte Lydia so kräftig auf
die Schulter, daß Lydia fast gestolpert wäre. »Sie sehen schlecht aus, Mrs.
Quade«, bemerkte sie besorgt. »Es ist kein Geheimnis, daß es nicht gut steht
zwischen Ihnen und dem Mister. Wenn Sie mit jemandem darüber reden wollen, dann
schießen Sie nur los. Die alte Elly hört Ihnen zu.«
    »Ich muß dringend mit Mister Quade
sprechen«, meinte Lydia und obwohl sie sich danach sehnte, Brigham wiederzusehen,
wäre sie am liebsten gleich wieder den Berg hinabgeflüchtet.
    Elly rührte in ihrem Eintopf und
deutete mit dem Kochlöffel auf den Wald. »Er ist irgendwo dort oben. Aber bald
ist das Essen fertig, und dann kommt er mit den Männern herunter. Warum warten
Sie nicht hier auf ihn und trinken mit mir eine Tasse Kaffee? Ich muß Sie
allerdings warnen — die Holzfäller wollen ihn mächtig stark haben.«
    Lydia schüttelte den Kopf. »Wenn ich
nicht sofort zu ihm gehe, Elly«, gestand sie bedrückt, »verliere ich den Mut.«
    Elly nickte verständnisvoll, sprach
aber dennoch eine Warnung aus. »Ihrem Mann wird es nicht gefallen, wenn Sie in
den Wäldern herumlaufen! Er ist der festen Überzeugung, daß Frauen dort, wo
gefährliche Arbeiten ausgeführt werden, nichts zu suchen haben.«
    Lydia seufzte. Ihr war klar, daß die
Begegnung mit Brigham nicht angenehm sein würde, aber sie bezweifelte, daß ihr
Erscheinen auf seinem geheiligten Terrain ihn überraschen würde. Und außerdem
hatte er sie ja gezwungen, zu ihm zu kommen, indem er Harrington befahl, ihr
nicht ihr Gehalt auszuzahlen.
    »Ich besitze auch einige feste
Überzeugungen«, entgegnete sie abwesend und machte sich auf den Weg zu dem Ort,
wo die Männer arbeiteten.
    Eine Viertelmeile später erreichte
sie eine Lichtung. Ein riesiger Baum war gefällt worden, und überall
kletterten Männer auf dem Stamm herum und sägten und hackten die Äste ab.
Brighams Hemd war schweißdurchtränkt und sein Gesicht so schmutzig, daß es wie
geschminkt aussah. Mit Hilfe anderer Arbeiter schirrte er ein Gespann aus
Ochsen an den halbgesäuberten Stamm.
    Während Lydia von weitem zuschaute,
der tiefstehenden Sonne wegen die Hand schützend über die Augen gelegt, stieg Brigham
seitlich auf den Stamm und befestigte die eisernen Haken der