Quade 03 - Suesse Annie, Wildes Herz
erst das Land verlassen hatten.
Er senkte den Blick auf das Dokument
auf seinem Tisch, um Lucian nicht zu zeigen, daß er sich freute. »Du mußt mich
deiner Braut vorstellen«, sagte er wie geistesabwesend.
»Bis dahin ...«
»Oh, aber du kennst sie bereits«,
erwiderte Lucian mit boshafter Befriedigung. »Ich werde Annie heiraten.«
Rafael hatte erraten, was Lucian
sagen wollte, noch bevor der Name über seine Lippen war, aber es gewußt zu
haben verhinderte nicht den bitteren Zorn, der in ihm aufwallte. »Verzeih mir,
daß ich das Offensichtliche betone«, sagte er nach unmerklichem Zögern, »aber Miss
Trevarren hat bereits deutlich zu verstehen gegeben, daß sie dich nicht leiden
kann.«
»Ach, das wird sich ändern«,
erwiderte Lucian zuversichtlich. »Ich werde mich für all die schrecklichen Dinge,
die ich in letzter Zeit gesagt und getan habe, entschuldigen. Und dann zeige
ich ihr, daß ich edelmütig genug bin, ihre Ehre, die mein Bruder befleckt hat,
wiederherzustellen, indem ich sie zu meiner Frau mache.« Auf ein leises, verächtliches
Geräusch von Rafael hin grinste Lucian breit und lehnte sich an den
Schreibtisch. »Du glaubst wohl nicht, daß sie darauf eingehen wird? Nun, dann
bedenk einmal folgendes, Hoheit: Nachdem du in den Händen der Rebellen
dein Leben verloren hast, wird die schöne Annie Trost benötigen. Sie wird mir
dankbar sein für mein zärtliches Verständnis, und wir beide wissen schließlich
— nicht wahr, Rafael? —, wie leicht Dankbarkeit mit Liebe verwechselt
werden kann.«
Entsetzliche Bilder erstanden vor
Rafael — er sah sein eigenes Grab, nicht auf dem Hügel neben Georgianas,
sondern am Rand irgendeines blutbefleckten Schlachtfeldes. Er sah Annie, die um
ihn weinte, und Lucian an ihrer Seite, wie ein Geier, der den rechten
Augenblick abwartete, wenn sie am verwundbarsten sein würde ... Und er wußte
auch, daß eine Warnung oder Drohung bei Lucian höchstens bewirken würde, daß er
noch mehr Entschlossenheit hinter seinen Plan setzte. Aus diesem Grund schwieg
Rafael.
Lucian durchquerte den Raum, füllte
ein zweites Glas mit Brandy, kam zurück und stellte das Glas vor Rafael.
»Willst du nicht trinken auf mein Glück, Bruder?«
Wie durch ein Wunder gelang es
Rafael, sich zu beherrschen, sonst wäre das Glas in hohem Bogen durch den Raum
geflogen. »Melde dich innerhalb einer Stunde bei Barrett«, sagte er nur kalt.
»Er wird dir ein Pferd und eine Decke für die Reise zuteilen.«
Lucians Lächeln verblaßte. »Was soll
das heißen?«
»Daß du soeben eingezogen worden
bist«, erwiderte Rafael. »Du bist jetzt Soldat der bavianischen Armee.«
»Du Bastard!« flüsterte Lucian. Er
war leichenblaß geworden. »Du verdammter Zigeunerbalg! Das kannst du mir nicht
antun!«
»Und ob«, erwiderte Rafael. »Geh
jetzt und melde dich bei deinem kommandierenden Offizier, oder ich schwöre dir
bei allem, was mir heilig ist, Lucian, daß ich dich einsperren lasse.«
»Du weißt, daß ich kein Soldat bin!
Ich könnte sterben ...« Rafael lehnte sich zur Seite. »Wache!« rief er, und
sofort öffnete sich die Tür, und einer von Barretts kräftigsten Männern trat
über die Schwelle, verbeugte sich und wartete den Befehl des Prinzen ab. »Nun?«
fragte Rafael ungeduldig seinen Bruder. »Wirst du dich als tapferer Mann
erweisen oder als ein Feigling?«
Lucians Gesicht hatte einen
beunruhigend grauen Farbton angenommen, der kalte Schweiß brach ihm aus. Rafael
hätte
vielleicht Mitleid mit ihm gehabt,
wenn Lucian nicht vorher mit den Plänen geprahlt hätte, die er für Annie
Trevarren schmiedete.
»Rafael, um Himmels willen ...«
»Du kannst wählen.«
Lucian schloß einen Moment die
Augen. Als er sie wieder öffnete, glitzerte noch tieferer Haß als je zuvor
darin. »Ich werde in deiner verdammten Armee dienen«, murmelte er.
»Aber schütze deinen Rücken, Hoheit,
denn ich werde mich zu rächen wissen.«
Rafael wandte sich an die Wache.
»Mein Bruder wünscht, bei der Verteidigung des Landes mitzuhelfen«, erklärte
er, ohne den Blick von Lucian abzuwenden. »Sorg dafür, daß er wie ein Soldat
ausgestattet wird.«
Sobald Lucian und die Wache gegangen
waren, ließ Rafael sich auf seinem Stuhl zurücksinken und starrte auf die
braune Flüssigkeit in dem Glas, das Lucian eben noch so triumphierend vor ihn
hingestellt hatte. Und obwohl Rafael sich fragte, ob er diesmal nicht zu weit
gegangen war, mußte er lächeln, als er sich seinen verwöhnten Bruder in
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