Rache - 01 - Im Herzen die Rache
Nachtluft schneidend ins Gesicht schlug, als die Haustür hinter ihr zuknallte.
Kapitel 22
Es war schon schwer genug, nicht zu wissen, was zum Teufel hier ablief, wem man davon erzählen oder wie man es stoppen sollte. Doch irgendetwas an der Tatsache, dass JD sie nicht verstand, verletzte Em auf eine Weise, wie sie es noch nie zuvor empfunden hatte.
JD war schon immer und ewig derjenige, dem sie vertraute. Als sie zehn waren und sie Angst hatte, von der Anlegestelle am Galvin’s Pond zu springen, hatte er es mit ihr zusammen gemacht – obwohl ringsum lauter klebrige Algen im Wasser schwammen. Wenn sie ihm etwas erzählte, hatte sie nie das Gefühl, die komischen Sachen weglassen zu müssen – die seltsamen Orte, an die ihr Geist sich begab, die scheinbar unsinnigen Verbindungslinien, die sie zwischen den Dingen zog. Selbst als sie ihm von Zach erzählt hatte …
Aber jetzt kam sie sich vor wie hinter einer Mauer. Wenn JD sie nicht verstand, wer denn dann?
Kaum war sie zu Hause, kamen die ersten SMS von ihm.
Em. Tut mir leid. Komm zurück und rede mit mir.
Oder kann ich zu dir kommen?
Hallo? Emerly? Strafst du mich jetzt mit Schweigen?
Ohne ihm zu antworten, schaltete sie ihr Handy aus. Sie fühlte sich gedemütigt; sie hatte sich ihm anvertraut und er hatte sie wie ein Kind behandelt. Sie trottete die Treppe hinauf und ließ das Küchenlicht an. Ihre Eltern würden bald nach Hause kommen.
In ihrem Zimmer klappte sie ihren Laptop auf.
Da war er wieder, versuchte diesmal, mit ihr zu chatten.
Em? Ich sehe, dass du online bist. Können wir einfach reden?
Tut mir leid, wenn ich ein Idiot war. Aber ich weiß noch nicht mal, was ich eigentlich verbrochen habe.
Was ist los???
Sie knallte lautstark ihren Laptop zu. Sie überlegte, ob sie ihren iPod anstellen sollte, aber es war kein einziger Song darauf, auf den sie jetzt Lust gehabt hätte. Sie zog ihre Jeans aus und tauschte sie gegen ihre University-of-Maine-Jogginghose. Sie löschte das Licht, überlegte es sich jedoch anders und knipste ihre Schreibtischlampe an.
Sie hatte genug von der Dunkelheit.
Dann sank sie ins Bett, ohne sich vorher noch die Zähne zu putzen. Sie lag da, lauschte dem Klicken des Heizkörpers und drehte sich von einer Seite des Bettes auf die andere. Sie fand einfach keine bequeme Position. In einem Anfall von Frustration warf sie all ihre Kissen auf den Boden und behielt nur noch eins für den Kopf. Schließlich wurden ihre Lider schwer. Und gerade als sie einschlafen wollte, hörte sie ein wildes, verzweifeltes Klopfen an der Haustür. Mit einem Schlag war sie hellwach.
Ihre Eltern konnten es nicht sein; sollten tatsächlich beide ihre Schlüssel vergessen haben, hätten sie den Ersatzschlüssel, der unter einem Stein unterhalb der Veranda versteckt war, hervorgeholt. Es musste JD sein, der gekommen war, um sich zu entschuldigen und persönlich mit ihr zu sprechen.
Einen Moment lang zog sie in Betracht, ihn einfach da draußen in der Kälte stehen zu lassen. Irgendwann würde er es schon aufgeben. Doch das Klopfen wollte nicht aufhören, hallte durch das leere Haus.
Mit einem Seufzer erhob sie sich, steckte die Füße in die flauschigen Hausschuhe neben ihrem Bett und begab sich wieder nach unten. Sie nahm sich vor, ihm auf keinen Fall zu verzeihen. Sauer zu sein erlaubte ihr wenigstens, sich auf irgendwas Konkretes zu konzentrieren.
In der Diele bereitete sie sich seelisch und moralisch vor, räusperte sich und öffnete dann mit einem Schwung die Tür.
»JD –« Doch die Worte blieben ihr im Halse stecken. Denn da, mitten auf der Winter’schen Treppe, stand das Mädchen. Ali.
Mit einem strahlenden Lächeln. Eine schimmernde rote Orchidee in der Hand. Wunderschön, zart und durchscheinend, wie aus Glas geblasen. »Hallo wieder mal«, zwitscherte das Mädchen. Sein zierliches Näschen wackelte wie das eines Mäuschens und seine Zähne glänzten ganz weiß. »Der Weihnachtsmann hat nicht mitbekommen, dass du ungezogen warst. Aber wir.«
Die Worte donnerten mit voller Wucht durch Ems Schädel. Der Weihnachtsmann hat nicht mitbekommen, dass du ungezogen warst. Fast exakt diese Worte hatte Zach an dem Abend zu ihr gesagt, als sie sich zum ersten Mal geküsst hatten.
Sie knallte Ali die Tür vor der Nase zu und stand einen Augenblick lang wie erstarrt da, mit wild pochendem Herzen. Von irgendwoher kam ein Kratzen; sie brauchte einen Moment, bis sie begriff, dass es das Geräusch ihres eigenen Atems war.
»Klopf, klopf«,
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