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Rachel im Wunderland: Roman (German Edition)

Rachel im Wunderland: Roman (German Edition)

Titel: Rachel im Wunderland: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marian Keyes
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oder fiel hin. Allerdings könnte auch die große Menge harmloser Drogen, die sie gewöhnlich zu sich nahm, damit zu tun haben, dass sie häufig wacklig auf den Beinen war.
    Helen war in Höchstform und unterhielt alle Umsitzenden mit einer Geschichte über eine Gruppe von Büroangestellten, die nach einem Besuch im Club Mexxx am nächsten Tag nicht zur Arbeit erscheinen konnten. Angeblich hatten sie sich eine Lebensmittelvergiftung zugezogen.
    »Sie wollen Anzeige erstatten«, sagte sie fröhlich. »Und ich hoffe, dass der Halsabschneider und Hungerlohnzahler vom Club Mexxx bankrott geht. Natürlich wissen wir alle«, fuhr sie fort, »dass die Büroangestellten einen deftigen Kater hatten. Jeder weiß doch, dass eine Lebensmittelvergiftung nur als Vorwand für einen Kater dient. Übrigens eine von Annas Lieblingsausreden. Ich würde das auch so machen, nur dass dies hier mein erster Job ist.«
    Endlich konnte ich mit Anna unter vier Augen sprechen. »Hast du Koks dabei?«, fragte ich leise.
    »Nein«, flüsterte sie und errötete.
    »Was hast du denn sonst dabei?«
    »Nichts.«
    »Nichts?«, wiederholte ich ganz verdutzt. »Warum nicht?«
    »Ich habe aufgehört«, sagte sie leise, sah mich aber nicht an.
    »Womit hast du aufgehört?«
    »Du weißt schon ... mit den Drogen.«
    »Warum denn?«, fragte ich. »Ist etwa Fastenzeit?«
    »Ich weiß nicht, vielleicht. Aber das ist nicht der Grund.«
    »Sondern was?« Ich war entsetzt.
    »Weil ich nicht so enden will wie du«, sagte sie. »Ich meine, in so einem Laden!«, korrigierte sie sich hastig. »So meine ich das, ich will nicht hier enden!«
    Ich war niedergeschmettert. Völlig niedergeschmettert. Selbst Luke hatte mir nicht so sehr weh getan. Ich versuchte, mich zu fassen, damit sie meinen Schmerz nicht sah, aber ich war ganz außer mir.
    »Es tut mir leid«, sagte sie kreuzunglücklich. »Ich will dir nicht weh tun, aber als du fast gestorben wärst, war ich so erschrocken ...««
    »Ist schon gut«, sagte ich kurz.
    »Oh, Rachel«, jammerte sie und wollte mich an der Hand festhalten, damit ich nicht wegging. »Du darfst mich nicht hassen, ich will doch nur erklären ...«
    Doch ich schüttelte sie ab. Ich zitterte wie Espenlaub und ging zur Toilette, um mich zu beruhigen.
    Ich konnte es nicht glauben! Ausgerechnet Anna hatte sich gegen mich gewandt. Sie dachte, ich hätte ein Problem. Anna, die Einzige, mit der ich mich vergleichen und dann sagen konnte: »Wenigstens bin ich nicht so schlimm wie sie!«

56
    D ie Tage vergingen.
    Menschen kamen und gingen. Clarence und Frederick wurden entlassen. Und auch die arme, teilnahmslose Nancy, die beruhigungsmittelsüchtige Hausfrau. Bis zum letzten Tag hielt ihr immer wieder jemand einen Spiegel unter die Nase, um zu sehen, ob sie noch atmete. Und wir Insassen witzelten, ob wir ihr zum Abschied ein Uberlebenspaket schenken sollten. Wir dachten da an einen Walkman mit einer Kassette, auf der die Worte: »Einatmen, ausatmen, einatmen, ausatmen« ständig wiederholt wurden. Irgendwie hatte ich den Verdacht, dass Nancy in der Broschüre mit den Erfolgsgeschichten von Cloisters nicht erwähnt würde.
    Mike wurde entlassen, doch erst, nachdem Josephine ihn dazu gebracht hatte, dass er über den Tod seines Vaters weinte. Der Ausdruck auf ihrem Gesicht war bemerkenswert – sie lächelte ein glückseliges Lächeln, und ich hörte sie innerlich triumphieren: Was für ein Gefühl, wenn der Plan aufgeht!
    Auch Vincents zwei Monate gingen zu Ende, und auch er war ein anderer Mensch und nicht mehr der Charles-Manson-Typ, den ich am ersten Tag kennengelernt hatte. So zärtlich und sanft war er, dass man sich vorstellen konnte, wie er im Wald stand und die Vögel sich auf ihm niederließen, während Rehe, Eichhörnchen und andere Tiere des Waldes sich um ihn scharten.
    Im Laufe der darauffolgenden zehn Tage gingen auch der rotgesichtige Eddie, der LSD-geschädigte Fergus und der dicke Eamonn nach Hause.
    Eine Woche nach Lukes und Brigits Besuch bekamen wir wieder ein paar Neuzugänge, was wie immer große Aufregung hervorrief.
    Eine war eine pummelige junge Frau namens Francie, die sehr laut und ununterbrochen redete und all ihre Worte ineinanderzog. Ich konnte meine Augen nicht von ihr abwenden. Sie hatte schulterlanges blondes Haar, das am Ansatz fünf Zentimeter dunkel nachgewachsen war, zwischen ihren Schneidezähnen klaffte eine Lücke, durch die ein Lastwagen gepasst hätte, und sie benutzte eine billige Grundierungscreme, die viel

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