Rachel im Wunderland: Roman (German Edition)
Junkies, die ihr Leben nicht auf die Reihe gekriegt haben.«
In meinem früheren Leben hätte ich mich Helens Spott – oder wessen auch immer – gebeugt und den Kontakt mit dem Menschen von den NA auf der Stelle abgebrochen. Aber das war einmal.
Manchmal sagte ich, einfach nur so zum Spaß: »Wovor hast du solche Angst, Helen?«, um sie ein bisschen aufzurütteln.
Bis Helen Nola und mich eines Tages zufällig in der Stadt traf.
»Du bist Nola?«, kreischte sie spürbar verblüfft. »Aber du siehst ...«
Nola zog fragend eine Augenbraue hoch, was äußerst elegant wirkte.
»Du siehst ganz normal aus«, plapperte Helen drauf los. »Besser als normal. Wunderhübsch. Dein Haar, deine Kleider ...«
»Das ist noch gar nichts, mein Mädchen«, sagte Nola mit ihrem leisen Singsang. »Du solltest mal mein Auto sehen.«
»Und ihren Mann«, fügte ich stolz hinzu.
Chris sah ich nie bei den Treffen, zu denen ich ging. Nach einer Weile hielt ich nicht mehr nach ihm Ausschau.
Schließlich vergaß ich ihn ganz.
Bis Helen eines Abends, verlegen und unsicher, auf mich zukam. Bei mir schrillten sofort die Alarmglocken.
Helen war nie verlegen oder unsicher.
»Was ist los?«, fuhr ich sie panikerfüllt an.
»Ich muss dir was sagen«, sagte sie.
»Ich weiß!«, schrie ich. »Das sehe ich dir an.«
»Versprich mir, dass du nicht sauer bist.«
Mir war klar, dass es etwas Schreckliches sein musste.
»Ich habe einen neuen Freund«, sagte sie unbeholfen.
Mir wurde schlecht. Ich wollte ihn längst nicht mehr, aber ich wollte nicht, dass er meine Schwester vögelte, wenn sein Schwanz bei mir schlappmachte.
»Du kennst ihn«, sagte sie.
Ich weiß.
»Er war in deiner Klapsmühle.«
Ich weiß.
»Und ich weiß, dass er frühestens dann wieder was mit einer Frau anfangen soll, wenn er ein Jahr ohne Alkohol überstanden hat, aber ich bin verrückt nach ihm«, wimmerte sie. »Ich kann nichts dafür.«
»Nicht Alkohol, Drogen«, sagte ich benommen.
»Wie bitte?«
»Chris war wegen Drogen dort, nicht wegen Alkohol«, sagte ich. Mir war nicht klar, warum ich ihr das erklären musste.
»Chris? Welcher Chris?«
»Chris Hutchinson, dein ...«, ich zwang mir die Worte über die Lippen, »... Kerl.«
»Nein«, sagte sie ganz verdutzt. »Barry Courtney, mein Kerl.«
»Barry?«, murmelte ich. »Welcher Barry?«
»Du hast ihn in der Klapsmühle immer das Kind genannt«, sagte sie. »Aber er ist kein Kind«, verteidigte sie ihn. »Für mich steht er seinen Mann!«
»O Gott«, sagte ich schwach.
»Und was soll der Quatsch mit Chris?«, fragte sie. Dann dämmerte es ihr. »Ach so, CHRIS!«, rief sie aus. »Der mit dir keinen Analverkehr wollte.«
»Ja.« Ich sah sie an. Irgendwie wusste ich, dass was passiert war.
»Hat er dich mal gefragt, ob du mit ihm gehen wolltest?«, fragte ich. »Und lüg mich nicht an, sonst erzähle ich Barrys Therapeutin, dass Barry eine Beziehung hat, und dann wird sie ihn zwingen, sie abzubrechen.«
Ich sah, wie sie mit sich rang.
»Einmal«, gab sie zu. »Das ist schon Ewigkeiten her. Er kam in den Club Mexxx, völlig zugedröhnt. Ich wollte nicht«, fügte sie rasch hinzu.
»Warum nicht?« Ich machte mich auf Schmerz gefasst, aber erstaunlicherweise fühlte ich so gut wie nichts.
»Weil er ein Schleimer ist.« Sie zuckte die Achseln. »Weil er allen erzählt, dass sie was Besonderes sind. Ich hab das gleich durchschaut. Außerdem würde ich nie mit jemandem gehen, an dem du schon rumgefummelt hast.«
»Warum hast du mir davon nichts erzählt?«, fragte ich gekränkt.
»Weil du dauernd rückfällig wurdest und ’nen Unfall hattest und beinahe gestorben wärst, und da dachte ich, es wäre besser, wenn du das nicht wüsstest«, erklärte sie.
Ich musste zugeben, dass das zu dem Zeitpunkt richtig gewesen war. Aber jetzt konnte ich damit umgehen.
69
D er Herbst surrte vorbei, es wurde kälter und der Winter machte sich breit.
Etwas hatte sich verändert. Ich merkte, dass ich nicht mehr wütend auf Brigit und Luke war. Ich konnte nicht sagen, wann meine Wut aufgehört hatte, denn brüderliche Liebe und die Bereitschaft zu verzeihen wecken einen nicht mitten in der Nacht auf und toben wild im Kopf herum, so wie es Rachegefühle und Hass tun.
Man liegt nicht plötzlich um fünf Uhr morgens hellwach im Bett, knirscht mit den Zähnen und stellt sich vor, wie man zu den Menschen geht, die man wirklich gern mag, ihnen die Hand schüttelt und sagt ... und sagt ... und sagt ...: »Es tut mir
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