Raecher des Herzens
sehr wohl in der Lage bist, auf dich zu achten. Außerdem nehme ich an, dass du eine recht genaue Vorstellung von den schrecklichen Dingen hast, die einem jungen Mann zustoßen können, und deshalb vielleicht weißt, wo man noch nach Denys suchen könnte.«
All diese Annahmen waren noch viel zutreffender, als Celina ahnen konnte. Rio tröstete das nicht. Er fühlte sich betrogen und benutzt. Gleichzeitig ärgerte es ihn, dass Celinas Worte ihn so sehr trafen. »Du willst, dass ich die übelsten Absteigen und die verruchtesten Bordelle von New Orleans nach deinem Bruder durchkämme? Soll ich auch gleich veranlassen, dass man den Grund des Flusses nach ihm absucht?«
Schweigend blickte sie ihn an. Ihre Züge waren zu weißem Marmor erstarrt, ihre Augen zu einem Meer der Schmerzen geworden. »Nein. Vergib mir«, sagte Rio schnell. Dabei machte er einen Schritt auf sie zu. »Das hätte ich nicht sagen sollen.«
»Du musst nicht glauben, dass ich nicht schon daran gedacht habe. Man hört ja gelegentlich, dass in der Flussbiegung bei den Docks Leichen angeschwemmt werden. Aber diesen Gedanken will ich erst zulassen, wenn die Suche an allen möglichen und unmöglichen anderen Orten wirklich vergeblich war.«
»Das verstehe ich.«
Als sich Rio endlich dazu durchringen konnte, Celinas Bitte ernst zu nehmen, wurde ihm auch noch etwas anderes klar: Er allein wusste, was Denys beschäftigt hatte, als er zu ihm gekommen war. Er allein ahnte, welches Ziel der junge Mann beim Verlassen des Fechtstudios gehabt hatte. Das alles war recht beunruhigend, und er wollte Celina noch nichts davon sagen. Einerseits sollte sie sich nicht noch mehr Sorgen machen, andererseits würde er mit seinem Wissen Fragen aufwerfen, die nicht leicht zu beantworten waren.
»Wirst du mir helfen?«, fragte sie. Dabei berührte sie sanft seinen Arm.
»Aus reiner Selbstlosigkeit oder aus purer Anständigkeit? Ersteres kann ich mir nicht leisten, und du bist offenbar der Ansicht, dass ich von dem Zweiten nicht viel besitze.«
»Das habe ich nie gesagt!«
»Aber du widersprichst mir auch nicht. Was sollte mich also dazu bewegen, deinem Wunsch zu entsprechen? Unsere ursprüngliche Abmachung galt für einen anderen Fall und ist bereits erfüllt. Zu beidseitiger Zufriedenheit, wie ich annehme.«
Celina zog die Hand von seinem Arm fort, als habe sie sich verbrannt. Ihre Stimme klang kalt wie die schneidende Nachtluft, als sie nun sagte: »Was willst du denn dafür haben?«
Das wusste Rio selbst nicht genau. Nein, das war falsch, er wusste es. Was er wollte, lag auf der Hand und hatte durchaus etwas mit Fleischeslust zu tun. Er wollte das Unmögliche. Er wollte ihr Abkommen erneuern. Er wollte sie haben.
»Mir scheint, wir haben dieses Gespräch schon einmal geführt. Bereits damals stellten wir fest, dass du nichts besitzt, was mich interessieren könnte. Mit einer Ausnahme.«
Rio hörte das scharfe Geräusch, mit dem Celina Atem holte. »Dieses Ansinnen ist unglaublich ...«
»... unverfroren?« Rio beendete den Satz an ihrer Stelle. »Aber ich dachte, du schätzt gerade diese Qualität an mir.«
Celina versuchte, mit den Blicken die Schatten auf seinem Gesicht zu durchdringen. Sie wollte ergründen, warum er so mit ihr sprach, warum er sich so seltsam benahm. Sie wollte bis in seine Seele sehen. Rio fiel es deutlich schwerer, diesem forschenden Blick standzuhalten, als beim Duell mit einem Mann die Klingen zu kreuzen. Er hätte am liebsten jede Silbe, die er ausgesprochen hatte, zurückgenommen, wollte vor Celina auf die Knie sinken und sie um Vergebung bitten. Gleichzeitig drängte es ihn, ihre Antwort zu hören.
»Also gut.«
Allzu viel konnte Rio damit nicht anfangen. »Was heißt das?«
»Ich bin einverstanden. Genau wie beim letzten Mal.«
Das Lächeln, das um seine Mundwinkel spielte, täuschte nicht über den warnenden Unterton in seiner Stimme hinweg. »Aber diesmal wird die Gegenleistung nicht in einem einzigen Treffen bestehen.«
»Du ... du willst, dass es weitergeht, auch wenn Denys gefunden ist?«
»Genau das will ich. Wenn du dich wirklich zur Kurtisane berufen fühlst, kann ich dich alles lehren, was du dafür wissen musst.«
Celina befeuchtete nervös ihre Lippen. »Aber niemand darf etwas davon erfahren.«
Rios Lächeln gefror. »Ich werde wie immer die Diskretion selbst sein. Aber als Kurtisane wirst du dich eines Tages nicht mehr verstecken können.«
»Du genießt diese Situation, nicht wahr?«, fragte Celina mit trotzig
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