Ramses Mueller
der echte BvStB aussieht, nein, er ist es nicht, oder doch? Oh, Mann, der Abend kann ja heiter werden, und vor allem: lang. Schubal kommt mit den vier Beck’s wieder. »Stuckrad« trägt weiter vor:
– Danke, Schubert (Schubal wagt nicht zu korrigieren), also, wo war ich stehen geblieben, ja, also bei der Bürde des Aussehens, und das bringt mich gleich weiter, zur Bürde des Namens, und ich meine jetzt nicht den von Barre, sondern meinen eigenen, ich heiße Ramses.
Pause, Stuckradmarbertramses nimmt einen, zwei kräftige Schlucke aus der goldgelben Flasche, setzt ab, rülpst zischend durch die Nase, wartet, schaut betreten auf den kleinen Tisch, der arme kleine Tisch, er muss heute so viel aushalten, auch alle anderen starren auf den Tisch, niemand will sich das spannende Getümmel der Gäste, die Inszenierung der Tänzer und Taumelnden um sie herum ansehen, sie führen hier gerade ihr eigenes kleines Stück auf, an ihrem Tisch ist es ganz still, sie schweigen, Armin kratzt am Aluminiumetikett des Flaschenhalses, Lydia zupft an ihren Haaren, Ramses oder wie auch immer er heißt räuspert sich, die Wiederaufnahme seiner Rede kommt seltsam schrill, etwas zu hoch, so, als müsse er für diesen ernsten Akt die ihm gebührende Tonlage erst finden, wie ein Sänger die Höhenkompatibilität zum Orchester auch zuerst suchen muss, sich vortasten.
– Also, Ramses, ihr werdet euch fragen, oder auch wenn ihr euch nicht fragt, will ich das erklären, diesen komischen Namen, wo der herkommt. Es ist so, mein Großvater, nein, ich will anders beginnen, mein vollständiger Name ist Ramses Müller, ich will euch das auch beweisen …
Er holt einen vom Po leicht gebogenen Leihausweis der Donna-Amalia-Bibliothek am Wallraffplatz heraus, da steht alles, Ramses Müller, mit Foto, es stimmt also, was für ein Zufall, diese Ähnlichkeit, und nicht mal Zwillinge, großes Erstaunen in der kleinen Runde da an dem Tischchen, das so viel ertragen muss, als der Ausweis weitergereicht wird, Schubal gibt ihn Ramses wieder zurück, er kann ihm dabei nicht in die Augen schauen, Ramses’ Blick ist durchdringend, er ist nicht demütig, nicht zurückgenommen, man könnte ihn stolz nennen, vielleicht, weil er jetzt eine weitere Bürde losgeworden ist, aber auch, weil er solche Offenbarungen ja schon zur Genüge kennt, für die anderen ist die Situation peinlicher, weil sie es ja waren, die ihn für einen anderen gehalten haben, weil sie es waren, die sich bei ihm eingeschleimt haben, weil Lydia es war, die sich wohl ein bisschen in ihn verliebt hat, weil Armin es war, der sich Schubal gegenüber aufgespielt hat, sich in der Hierarchie zu »Stuckrad-Barre« an die Pole Position gezappelt hat, und jetzt sitzen sie hier mit einem No-Name, also mit jemandem wie ihnen, auf Kinderstühlen und fühlen sich schuldig, und der eigentlich Schuldige, der sie zu Schuldigen gemacht hat, sitzt etwas erhöht wie ein Tennisschiedsrichter und überblickt die peinliche Situation. Und dann scheint der kleine wackelige Tisch vor ihnen die Schuld auch noch zu bündeln und ihre betretenen Blicke mit Vorwurf zu erwidern. Und dann auch noch Müller, geht’s nicht noch banaler, gewöhnlicher? Ramses Müller spricht weiter.
– Ich verstehe, dass ich es jetzt bin, der peinlich berührt sein müsste, aber ich bin noch nicht zu Ende, es geht noch weiter, und dann werdet ihr meine verzwickte Lage vielleicht etwas besser verstehen. Hm, wie weiter? Mein Großvater war Heiner Müller, von ihm hab ich ja mein Kinn, Pflugkinn haben sie ihn schon immer genannt, und mich auch, und das, ohne dass das bekannt ist, dass wir verwandt sind, wenn ihr jetzt heute nach Hause geht, bitte macht nicht den Fehler und googelt nach Heiner Müllers Nachfahren, ihr werdet da nur seine Tochter finden, das ist meine Tante, die ist 1992 geboren, also jetzt 15 Jahre jünger als ich, aber über mich werdet ihr nichts finden.
Ramses macht eine längere Pause, diese vielen Informationen vollkommen fremden Menschen zu erzählen erschöpft ihn wohl, das ist wohl so eine Art Therapiesitzung, Lydia ist die Erste, die sich traut, das Eis zu brechen und etwas zu sagen.
– Ach, Ben, Menno, Benno, äh Ramses, ich bin auch irgendwo erleichtert, das stellt das jetzt alles irgendwie in ein vollkommen anderes Licht, also diese ganze Situation hier, auch im White Trash , ich find auch gut, dass du das HIER offenbarst, und dann auch noch uns, also mir, und euch, also Schubert und dir, das …
Armin hält es für
Weitere Kostenlose Bücher