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Ramses Mueller

Titel: Ramses Mueller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tex Rubinowitz
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etwas, was viele Kreative immer wieder anwandelt, der Drang zur Doppelbegabung, schauspielen UND malen, oder singen, dabei kommt bei der zweiten künstlerischen Disziplin immer nur Müll raus, Schlingensief hat sich deshalb etwas Artfremdes ausgesucht, weil es da nicht zu Überschneidungen kommt, man kann nicht vergleichen, und der Natur wohnt ebenso viel Schönheit inne wie der Kunst, außer bei den Kastelruther Spatzen vielleicht, Kunst und Natur (Spatzen) kulminieren hier zum fröhlichen Veitstanz auf dem Vulkan, aber auch diese vermeintliche Hässlichkeit ruht nur im Auge des jeweiligen Betrachters, und sicher gab es welche, die Hedy Lamarr hässlich fanden, igitt, die schon wieder.
    Sein Forschungsfeld waren, und sind es noch, die polygynen Staaten, wenn nach dem Jungfernflug die Königin befruchtet wird und sie sich die Flügel selbst abbeißt, wie sie es schafft, ein eigenes Volk aus Arbeiterinnen heranzuziehen, und zwar in Kooperation mit anderen Königinnen, da gibt’s ja auch zwei Formen, also die primäre Polygynie, gemeinsame Staatsgründung, in deren Verlauf die stärkste überlebt, und dann die sekundären polygynen Staaten, wo Königinnen adoptiert werden, und da kommt jetzt Schlingensief, nach welchen Kriterien geschieht dieses »Casting«? Deutschland sucht den Supermonarchen, man kann das alles umlegen auf unsere Trashformate. Da saß er dann in der Bibliothek über uralten Folianten, zum Teil gebunden in Häuten schon ausgestorbener Tiere, Wälzer von Carl von Linné, er hatte extra Schwedisch gelernt und wälzte die nach brauchbaren Hinweisen. Und Barre besuchte zu jener Zeit, und besucht sie nach wie vor, Bibliotheken bei Verstopfungen, also wenn er nicht »kann«, er kann es nicht erklären, warum die Atmosphäre hier entspannend für seinen Metabolismus ist, ist es die Rücksicht nehmende Stille, ist es der Geruch des gilbenden Papiers, an dem hier ja kein Mangel herrscht, Massen von Papier, das viele, viele Papier, das leise Knacken und Rascheln, das Flüstern? Aber in Buchhandlungen geht es ihm ebenso, nur dass die keine Toiletten haben, also haben sie schon, aber eher nicht für Kunden, deshalb hat er hier in den B ibliotheken einen geheimen Rückzugsort im Falle nagender Hartleibigkeit, er will auch nicht, dass das jemand erfährt, nicht nur, weil es ihm obszön vorkommt, sondern weil er fürchtet, dass dann der Entspannungseffekt durch Bekanntgabe gebrochen würde, noch dazu kam, dass er gerade Soloalbum fertig geschrieben hatte, die Leute bei KiWi waren begeistert, sie waren überzeugt, dass das ein Riesenerfolg werden könnte, was es dann ja auch wurde, und wie steht man denn da, als Autor, der nur scheißen kann, wenn er an Büchern schnüffelt, aber damals, als er auf Schlingensief traf, war das Buch noch nicht raus, jetzt spricht ihn jemand an, der ihn nicht kennen kann .
    – Ich weiß, wer du bist.
    – So? Wer bin ich denn?
    – Zwei Personen.
    – Und wer von denen steht jetzt hier?
    – Ein Enkel.
    – Und der andere?
    – Ist der, der das nicht weiß.
    – Aber jeder ist doch Enkel, sogar viermal.
    Stuckrad-Barre, also der noch nicht der Stuckrad-Barre war, erkannte natürlich Schlingensief, man hatte sein markantes Gesicht in den Zeitungen gesehen, auch wenn seine Filme kaum jemand kannte, aber er hatte die selbstbewusste Aura dessen, der eine Vision hat, den unbedingten Willen, den er aber gleichzeitig bedeckt zu halten versuchte, weil er ja hier inkognito saß, mit all seinen Ameisen.
    In Schlingensiefs Augen flackert es, seine Nasenlöcher sind gebläht, er muss etwas loswerden, aber zögert es hinaus, um den Kitzel des Sehnens, die Vorerfüllung auszukosten, eine Art innere Katze beginnt sich bei ihm schnurrend zu rühren, Barre ist irritiert, vom späteren Selbstbewusstsein noch keine Spur, die Haare fallen schulterlang, auf der Nase ein Pickel, der gelb ist, vor ihm, unter ihm, am Tisch vor dicken, Stockflecken aussäuernden Folianten, auf der aufgeschlagenen Seite die Abbildung einer Ameise, die gerade im Begriff ist, einer anderen den Kopf abzubeißen, Stuckrad ist nicht ganz wohl, der Typ kommt ihm vor wie ein Perverser, vor sich Pornohefte mit Leuten in Gummianzügen und Gasmasken, Schlingensief grinst, er tippt auf das Bild.
    – Ameisen.
    – Ja, ich sehe. Und der Enkel?
    – Auf den komme ich gleich zurück. Weißt du, dass für ein Kind eine Ameise in der Wahrnehmung relativ größer ist als für uns Erwachsene?
    Stuckrad-Barre kneift’s im gärenden Darm, wie

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