Rapunzel auf Rügen: Roman (German Edition)
mehr Rapunzel-Länge hatte. Nur wenige Meter vor der schützenden Haustür vom Haar niedergedrückt und in einer Pfütze ertrunken. Ich musste kichern, obwohl ich fror.
Sarah zerrte an meinem Arm. »Wie weit noch?«
Ich zeigte zum Haus, dessen Umrisse sich durch den dichten Regen abzeichneten.
Gott sei Dank! Schuhe aus, Füße hoch und eine Tasse ostfriesischen Tee. Dachte ich gerade an Ortruds Teemischung? Unmöglich! Ich mochte diesen Tee ja nicht einmal, geschweige dass ich mir eine Tasse herbeiwünschen würde. Aber ich vermisste Ortrud, ein bisschen wenigstens.
Sarah stellte ihre Tasche ab und blickte sich um. »Wow, eine echte Kuckucksuhr.«
Eher ein Staubfänger aus vergangenen Tagen, dachte ich im Vorbeigehen.
Hendrik setzte Füchschen ab, wischte sich das Wasser aus dem Gesicht und ging zur Uhr, die an der Wand im Wohnzimmer hing. »Ist von einundvierzig, original Schwarzwald.« Dabei strich er sanft über das antike Gehäuse.
»Mechanisches Pendelwerk mit Kettenzug und Schlagwerk«, erwiderte Sarah oberschlau. Unter ihren Füßen hatte sich eine Pfütze gebildet, die sich nach und nach zu einem See ausbreitete.
»Sollten wir uns nicht lieber umziehen, bevor wir uns den Tod holen?«, schlug ich vor, um vom Uhrenthema abzulenken. Und überhaupt, woher wusste Sarah, wie diese alten Dinger angetrieben wurden? Es gab also nicht nur Schwarzwälder Torte auf dem Kiez, sondern auch Schwarzwälder Uhren. Logo! Der Zwischendurch-Hopser in der Mittagspause musste wahrscheinlich zeitlich überwacht werden.
»Gute Idee«, stimmte mir Hendrik zu. »Du zeigst inzwischen Sarah das Gästezimmer, und ich mache den Kamin an.«
Nachdem wir uns alle in trockene Klamotten gehüllt hatten, lümmelten wir vorm Feuer herum. Beim Knistern der Holzscheite überkam mich ein wohliges Gefühl. Ich rutschte zu Hendrik, der von zwei unserer mittlerweile gut herangewachsenen Katzen belagert wurde. Auch Knuffelbär hatte ordentlich an Gewicht zugelegt und stürzte sich wie ein Tiger auf den Kratzbaum im Flur. Ich kuschelte mich an Hendrik. Nimm ihn hier und jetzt, forderte die Stimme in mir. Gerne! Aber Sarah bemerkte nicht die Bereitschaft meiner Hormone, Höchstleistung anzustreben. Fröhlich plapperte sie los. Sie erzählte Hendrik von Hamburg,den Schiffen und dem Hafen. Das hätte sie mal lieber gelassen, weil nun Hendrik annahm, ich wäre ebenso in Hamburg aufgewachsen. Er musterte mich fragend. Super, Sarah!
Ich zuckte gelassen mit den Schultern und erwiderte: »Zwei unterschiedliche Väter bedeuten auch zwei völlig andere Leben.«
»Aha«, brummelte er, küsste meine Wange und verstärkte in mir das Gefühl, dass er mir nicht glaubte.
Dreimal gezwinkert, plus eine eindeutige Gestik – Sarah hatte überhaupt kein Feingefühl. Sie kapierte erst, als ich mit einem Kondom aus dem Bad kam und dezent damit vor ihrer Nase fuchtelte, während Hendrik noch etwas Holz nachlegte. Mit einem übertriebenem Ach-bin-ich-müde-Gähnen, das mindestens acht Stunden Übung im Szenenspiel beinhaltete, schlich sie von dannen. So, jetzt, dachte ich und war bereit, meine sexuellen Erfahrungswerte aufzustocken, da klingelte es an der Haustür. Um Viertel nach zehn! Hendrik sprang auf – es könnte sich ja um einen tierischen Notfall handeln – und öffnete. Ich hoffte inständig, dass es nur der Postmann wäre, der seine morgendliche Route auf Abends verlegt hatte. Aber dann hörte ich Stimmen, und es fiel der Name Isabell.
Isabell? Seine Ex? Meine Hormonspiegel sank auf irgendwas zwischen Nonne und Emanze. Prima! Enttäuscht warf ich den Noppengummi ins Feuer und ging nach oben. Von Richard wusste ich nur zu gut, dass Gespräche mit Expartnern sich ins Unendliche dehnen können. Und keinesfalls hatte ich Lust, Isabell im Schlabberlook zu begegnen. Deprimiert warf ich mich aufs Bett. Sollte ich mal hinunterschleichen? Wenigstens einen Blick auf sie werfen? Vielleicht war sie ja gar nicht so hübsch, wie ich annahm. Auf Zehenspitzen arbeitete ich mich zum Treppenabsatzvor. Gerade als ich die knarrende Stufe umgehen wollte, riss Sarah die Tür vom Gästezimmer auf. Mit vor den Mund gehaltener Hand stürmte sie heraus und murmelte was wie Klo und schnell, bevor sie im Bad verschwand.
»Alles in Ordnung?«, rief Hendrik hinauf, der das Gepolter natürlich mitbekommen hatte. Dass ich dabei die Treppe fast hinunterstürzte, war das kleinste Übel an diesem Abend. Die Bombe platzte, als Hendrik mir eröffnete, dass bei Isabells Urlaubsbuchung
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