Raubzug mit dem Bumerang
worden war, beschloss er, sich zu wehren. Mit dem Ergebnis:
Er wurde nochmal verprügelt und beim siebten Mal zerbrach sogar seine
Zahnspange.
So konnte es nicht weitergehen.
Immerhin war er der Stiefsohn des Bundestagsabgeordneten Dr. Karlheinz
Kleinknecht, der außerdem Parteivorsitzender und im Privatleben Rechtsanwalt
war. Also wandte sich Kevin an Tim, den er schon lange als Vorbild verehrte. Und
Tim hatte ein Herz für die Milchtüte. Tim gab ihm Unterricht. Judogriffe im
Stand und in Bodenlage, ein bisschen Karate und Basis-Übungen, um Muckis zu
entwickeln.
Bei der achten Prügelei — gegen
einen gefürchteten Raufbold aus der 6 c — erzielte Kevin ein ehrenhaftes
Unentschieden. Den neunten, zehnten und elften Kampf gewann er klar. Und damit
hörten die Rangeleien auf — ein für alle Mal. Kevin war nicht mehr der
Prügelknabe.
Ein Problem weniger. Doch Kevin
hatte noch andere Sorgen. Am schlimmsten war die Einschränkung seiner Freiheit.
Sein Stiefvater galt als politischer Zündstoff. Ein ausgeflippter Psycho hatte
sogar auf ihn geschossen — ein Anschlag, der die ganze Nation beschäftigte
hatte aber nicht Dr. Kleinknecht getroffen, sondern die hinter ihm stehende
Ehrenvorsitzende der Partei, eine 82-jährige Politikerin mit drei
Doktor-Titeln. Die Pistolenkugel hatte ihr den linken Ohrring weggerissen und
das Ohrläppchen. Trotzdem hielt Dr. Dr. Dr. Olga Schwedke noch am gleichen Tag
eine zweistündige Rede — frei, ohne ins Manuskript zu sehen, und überzeugend
wie immer.
Wegen Dr. Kleinknechts Amt galt
auch die Sicherheit seiner Familie als gefährdet. Das Haus wurde rund um die
Uhr bewacht. Elisabeth Kleinknecht wurde rund um die Uhr bewacht. Und Kevin
konnte nichts unternehmen ohne seinen Leibwächter.
Der hieß Knut-Werner Nasoreit.
Ein Ex-Bulle — wie Kevin in der Schule erzählte. Nasoreit fuhr Kevin überall
hin, wartete vor der Schule, in der Tennishalle, im Schwimmbad, beim
Klavierlehrer und jetzt also vor der Zahnarzt-Praxis von JDS, die eine
Regulierung an der Spange vorgenommen hatte. Naso — Kevin neigte wie sein
Stiefvater zu Abkürzungen — saß also in der Limousine, las Zeitung und sah ab
und zu auf die Uhr. Aber Kevin war durch den Hinterausgang der Praxis entkommen.
Nicht um Naso zu ärgern — den mochte er — , sondern um sich wenigstens für eine
halbe Stunde wie ein normaler Junge benehmen zu können.
Er luchste um die Ecke. Hoppla!
Naso stieg aus. Naso betrat das Gebäude.
Jetzt aber!, dachte Kevin und
flitzte über die Straße.
Früher Nachmittag. Es war heiß.
Bei Frinizelli, dem Eis-Italiener, kaufte er sich eine Tüte Gelato ( Speiseeis )
für drei Euro achtzig.
Mit langer Zunge schleckend,
wobei ihn die Zahnspange nicht behinderte, lief er in den Soleil-Park, vorbei
am Springbrunnen, entlang der Hundewiese, wo er einen Dackel streichelte, und
dann über den Kiesweg in Richtung Mühlbach.
Der Bach begrenzt den
Soleil-Park auf der Westseite. Hohe Bäume, Kastanien, an beiden gemauerten
Ufern. Eiserne Brücken — nur für Fußgänger — führen hinüber. Die
Soleil-Park-Straße verläuft am Mühlbach und ist meistens mit Autos zugeparkt.
Eine Einbahnstraße. Elegante Häuser auf der anderen Seite, meist alte Häuser
mit kleinen Vorgärten, geschmiedeten Zäunen und Naturstein-Treppen zur Haustür.
Eine ruhige Gegend.
In etwa zehn Minuten wäre Kevin
zu Hause gewesen. Dass er das unbeaufsichtigt tat, kam ihm vor wie ein
gigantisches Abenteuer. Na ja, von daheim würde er Naso anrufen über Handy und
ihn ein bisschen foppen.
Es kam anders. Trotz seiner
Cleverness — Kevin hatte nichts bemerkt von den beiden Typen: von Lothar Biege,
genannt Lobi, und Otto Hassleben, genannt Einohr. Weshalb der so genannt wurde,
wusste nicht mal er selbst, denn er besaß zwei Ohren.
Seit Tagen verfolgten die
beiden den Jungen. Ein geplanter Coup. Aber sie hätten beinahe schon
aufgegeben, weil Kevins Bewachung durch Bodyguard Nasoreit lückenlos war.
Doch jetzt! Es war die ersehnte
Gelegenheit. Und ihren Wagen hatten die beiden — wie schon mehrfach seit
Dienstag — in der Nähe abgestellt, unweit der Kleinknecht-Adresse, also in der
stillen Soleil-Park-Straße.
Auf den letzten Metern zum
Mühlbach säumten Büsche den Kiesweg. Niemand war in der Nähe. Kevin, immer noch
Eis lutschend, wurde von Lobi überholt. Der trug einen Schlafsack über der
Schulter.
Einohr lief auf dem Rasen neben
dem Weg. Lautlose Schritte. Jetzt war er hinter Kevin. Der Junge wurde gepackt,
ein
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