Rebecka Martinsson 01 - Sonnensturm
vertritt, und nur die allerhöchsten Engel dürfen nach dieser Darstellung vor Gottes Thron treten.«
»Du meinst also, dass irgendwer ihn umgebracht hat, weil er eins von diesen Kleinen verleitet hat«, sagte Sven-Erik nachdenklich. »Meinst du, er könnte …«
Er unterbrach sich und spürte, wie Unbehagen ihn überkam, dann fügte er hinzu:
»… mit Sannas Töchtern, meine ich.«
»Warum hat sie den Anfang übersprungen?«, fragte Anna-Maria. »Und egal, von Post hat Recht. Wir müssen mit Sanna Strandgårds Kindern reden. Vielleicht hatte sie ja einen verdammt guten Grund, ihren Bruder zu hassen. Wir werden uns ans Institut für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Stockholm wenden. Die müssen uns dabei helfen, mit den Mädchen zu reden.«
Als sie aufgelegt hatten, blieb Sven-Erik mit dem Kater auf den Knien am Küchentisch sitzen.
O verdammt, dachte er. Alles, nur das nicht.
ANN-GULL KYRÖ, die Sekretärin der Pastoren, meldete sich am Telefon des Pfarrbüros, als Rebecka an diesem Morgen um Viertel nach acht dort anrief. Rebecka hatte die Kinder soeben abgeliefert und war auf dem Rückweg zum Auto. Als sie nach Thomas Söderberg fragte, konnte sie hören, wie die Frau am anderen Ende der Leitung nach Luft schnappte.
»Leider«, sagte Ann-Gull. »Er und Pastor Isaksson halten die Morgenandacht und dürfen nicht gestört werden.«
»Und wo ist Vesa Larsson?«
»Der ist heute krank und darf auch nicht gestört werden.«
»Könnten Sie Thomas Söderberg vielleicht etwas von mir ausrichten? Er soll mich anrufen und …«
»Ich bedaure«, unterbrach Ann-Gull sie freundlich. »Aber während der Wunderkonferenz haben die Pastoren alle Hände voll zu tun und können niemanden zurückrufen.«
»Aber hören Sie doch«, sagte Rebecka eindringlich, »ich bin Sanna Strandgårds Anwältin und …«
Wieder fiel die andere ihr ins Wort. Und jetzt verbarg sich unter dem freundlichen Tonfall eine gewisse Schärfe.
»Ich weiß nur zu gut, wer du bist, Rebecka Martinsson«, sagte sie. »Aber wie gesagt, während der Konferenz haben die Pastoren keine Zeit.«
Rebecka ballte die Fäuste.
»Richte den Pastoren von mir aus, dass ich nicht einfach verschwinde, nur weil sie mich ignorieren«, sagte sie wütend.
»Ich …«
»Ich habe nicht vor, ihnen überhaupt irgendetwas auszurichten«, warf Ann-Gull dazwischen. »Und mich zu bedrohen, bringt dich auch nicht weiter. Ich beende deshalb jetzt dieses Gespräch. Auf Wiederhören.«
Rebecka zog den Stöpsel aus dem Ohr und steckte ihn in die Manteltasche. Sie hatte das Auto erreicht. Sie hob ihr Gesicht zum Himmel und ließ Schneeflocken auf ihren Wangen landen. Nach einigen Sekunden waren sie nass und kalt.
Ihr Ärsche, dachte sie. Ich ziehe aber nicht wie ein geprügelter Hund den Schwanz ein. Ihr werdet mit mir über Viktor sprechen. Ihr behauptet, dass es mir nichts bringt, euch zu bedrohen. Aber das wollen wir doch erst mal sehen.
THOMAS SÖDERBERG wohnte mit seiner Frau Maja und den beiden Töchtern in einer Wohnung mitten in der Stadt über dem Kleiderladen Centrum. Rebeckas Schritte hallten im Treppenhaus wider, als sie ins oberste Stockwerk hinaufstieg. In den braunen Steinboden waren schneckenhausfarbene Fossilien eingelassen. Alle Namensschilder waren aus Messing und mit derselben adretten, schrägstehenden Schrift versehen. Es war die Sorte Treppenhaus, wo man sich einbildet, dass alte Leute in ihren stickigen Wohnungen das Ohr an die Tür pressen und gern wüssten, wer da wohl kommt.
Na los, dachte Rebecka. Es hat keinen Zweck, zu überlegen, ob ich das hier will oder nicht. Ich muss es einfach hinter mich bringen. Wie einen Besuch beim Zahnarzt. Einmal den Schnabel aufsperren, dann ist es schnell vorüber. Sie drückte auf den Klingelknopf neben der Tür mit dem Schild »Söderberg«. Eine halbe Sekunde lang stellte sie sich vor, dass Thomas aufmachen würde, und sie unterdrückte den Impuls, kehrtzumachen und die Treppe hinunterzustürzen.
Wer aufmachte, war jedoch Maja Söderbergs Schwester Magdalena.
»Rebecka«, sagte sie nur.
Sie wirkte nicht überrascht. Rebecka hatte den Eindruck, dass sie erwartet worden war. Vielleicht hatte Thomas seine Schwägerin gebeten, sich bei der Arbeit freizunehmen, und sie in seiner kleinen Familie als Wachhund eingesetzt. Magdalena hatte sich nicht verändert. Ihre Haare waren zur selben praktischen Pagenfrisur geschnitten wie vor zehn Jahren. Sie trug unmoderne Jeans, die in hohen, selbstgestrickten
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