Rebecka Martinsson 02 - Weisse Nacht
wird er von einer solchen Müdigkeit überwältigt, dass er sich hinlegen muss, selbst wenn es mitten am Tag ist.
Scheiß drauf, sagt sie. Scheiß auf den Krempel. Mir ist das doch egal.
Er weiß, dass das stimmt. Alle Möbel stammen aus ihrem Elternhaus. Sie war die einzige Tochter eines Probstes, und ihre beiden Eltern waren gestorben, während sie noch zur Universität ging.
Sie weigert sich, ihn zu bedauern. So war sie immer schon. Deshalb ist er noch immer heimlich wütend auf sie. Das war die böse Mildred. Nicht im Sinne von boshaft oder gemein. Aber die Mildred, die Böses tat. Die ihn verletzte. Wenn du bei mir bleiben willst, dann freue ich mich, hat sie gesagt, als sie noch am Leben war. Aber du bist ein erwachsener Mensch, du musst selbst entscheiden, wie du leben willst.
War das richtig, fragt er sich wie schon so oft. Darf man so kompromisslos sein? Ich habe voll und ganz ihr Leben gelebt. Natürlich war das meine eigene Wahl. Aber soll man einander in der Liebe nicht entgegenkommen?
Jetzt schaut sie die Tischplatte an. Er darf nicht an Kinder denken, denn dann wird sie wohl wie ein Schatten durch die Wand verschwinden. Er muss sich zusammenreißen. Er hat sich immer zusammenreißen müssen. In der Küche ist es jetzt fast stockfinster.
Sie hatte das nicht gewollt. In den ersten Jahren hatten sie miteinander geschlafen. Abends. Oder mitten in der Nacht, wenn er sie geweckt hatte. Immer bei ausgeknipster Lampe. Und er konnte noch immer ihren schlecht verhohlenen Widerwillen spüren, wenn er mehr machte, als ihn nur hineinzustecken. Am Ende hatte es von selbst aufgehört. Er näherte sich ihr nicht mehr, ihr war das egal. Ab und zu sprang die Wunde auf, und sie stritten sich. Er konnte nuscheln, dass sie ihn nicht liebe, dass ihre Arbeit ihm alles wegnehme. Dass er sich Kinder wünsche. Und sie drehte dann die Handflächen nach oben: Was willst du dann von mir? Wenn du unglücklich bist, musst du eben gehen. Und er: Wohin denn? Zu wem? Immer hatten die Stürme sich wieder gelegt. Der Alltag hatte sie beruhigt. Und das war immer, oder fast immer, gut genug für ihn.
Ihr spitzer Ellbogen auf der Tischplatte. Der Zeigefingernagel tippt nachdenklich auf die lackierte Fläche. Sie sieht so hartnäckig in Gedanken versunken aus, wie sie das immer tut, wenn ihr eine Idee gekommen ist.
Er ist es gewohnt, für sie zu kochen. Den Teller mit der Plastikfolie aus dem Kühlschrank zu nehmen und in die Mikrowelle zu stellen, wenn sie spät nach Hause kommt. Zuzusehen, wie sie isst. Oder ihr ein Bad einzulassen. Ihr zu sagen, dass sie sich die Haare nicht so fest um den Finger wickeln darf, wenn sie nicht am Ende eine Glatze haben will. Aber jetzt weiß er nicht, was er machen soll. Er will sie fragen, wie es ist. Dort im Jenseits.
Ich weiß nicht, antwortet sie. Aber es zieht an mir. Mit aller Kraft.
Ach, das hätte er sich ja denken können, verdammt. Sie ist hier, weil sie etwas will. Plötzlich hat er schreckliche Angst, dass sie einfach verschwinden könnte. Einfach so.
»Hilf mir«, bittet er sie. »Hilf mir weg von hier.«
Sie sieht ihm an, dass er es nicht allein schaffen wird. Und sie sieht seinen Zorn. Den heimlichen Hass der Unselbstständigen und Abhängigen. Aber das macht jetzt nichts mehr. Sie erhebt sich. Legt ihm die Hand in den Nacken. Zieht sein Gesicht an ihre Brust.
»Jetzt gehen wir«, sagt sie nach einer Weile.
Es ist Viertel nach sieben, als er zum letzten Mal in seinem Leben die Tür des Pfarrhauses hinter sich zuzieht. Alles, was er mitnimmt, hat Platz in einer Plastiktüte. Eine Nachbarin zieht den Vorhang zur Seite, beugt sich zur Fensterscheibe vor und schaut neugierig zu, wie er die Tüte auf den Rücksitz wirft.
Mildred setzt sich auf den Beifahrersitz. Als der Wagen durch das Tor rollt, fühlt er sich fast fröhlich. Wie in dem Sommer, ehe sie geheiratet haben. Als sie mit dem Auto in Irland unterwegs waren. Und Mildred lächelt neben ihm voller Überzeugung.
Sie halten vor Mickes Lokal auf der Straße. Er will nur schnell dieser Rebecka Martinsson die Schlüssel zum Pfarrhaus überreichen.
Zu seiner Überraschung steht sie vor der Tür. Sie hält ein Mobiltelefon in der Hand, spricht aber nicht. Ihr Arm hängt schlaff nach unten. Als sie ihn entdeckt, scheint sie fast weglaufen zu wollen. Er geht vorsichtig, fast bittend auf sie zu. Wie auf einen scheuen, geprügelten Hund.
»Ich wollte Ihnen den Schlüssel zum Pfarrhaus geben«, sagt er. »Und Sie geben ihn dann
Weitere Kostenlose Bücher