Rebellin der Leidenschaft
existierte, aber das war alles. Sie lebte jeden Tag von einem Augenblick zum nächsten und schaffte es entweder, sich den Kopf frei zu halten, oder sie beschäftigte sich mit ganz prosaischen Dingen. Sie wagte nicht an ihn zu denken, sie wagte nicht zu fühlen. Der Schmerz lauerte in ihr und drohte, jederzeit auszubrechen. Sie hatte zu hoffen, zu träumen gewagt. Eine sehr kurze Zeit hatte es den Anschein gehabt, als würden ihre Träume wahr werden. Und eben das machte es unmöglich, seinen Verrat zu ertragen. Sie wusste, der Kummer, der tief und fest in ihr verborgen lag, war so immens, dass sie ihn nie würde enthüllen dürfen.
Und er hatte nicht einmal versucht, sie aufzuhalten. Er hatte sie ohne das leiseste Zögern gehen lassen. Sie bedeutete ihm so wenig, dass er nicht einmal um sie gekämpft hatte.
Nicole wagte es nicht, solche Gedanken bewusst zuzulassen.
Am Ende der Woche erschien Regina. Nicole hatte gewusst, dass es nur eine Frage der Zeit sein würde, bis ihre Familie herausbekam, wo sie sich aufhielt. Sie freute sich, ihre Schwester zu sehen, aber sie fürchtete sich auch davor.
»Was hast du nur getan!«, schrie Regina, die sich nie lange damit aufhielt, um den heißen Brei herumzureden. »Nicole, du solltest dir wirklich überlegen, was du tust!«
Eine Erinnerung traf Nicole wie ein Blitzschlag. Sie sah vor ihrem geistigen Auge, wie Regina sie zuletzt gesehen hatte, als sie mit Jane und Martha nach Clayborough zu Besuch gekommen war. Nicole erinnerte sich genau, wie ihre Schwester angezogen war, bis hin zu den kleinen Perlenohrringen, die sie getragen hatte, und sie wusste noch genau, wie sie sich damals gefühlt hatte. Sie war auf einer himmelhohen Wolke geschwebt, sie hatte sich in einer unglaublichen Ekstase befunden, sie war verliebt gewesen.
»Bitte, Regina, fang mit dem Thema meiner Ehe gar nicht erst an. Das ist vorbei. Ich werde nie mehr zurückgehen.«
»Du Dummkopf! Du Närrin! Was kann er bloß getan haben, dass du dich so unmöglich daneben benimmst! Noch vor ein paar Wochen warst du ekstatisch vor Glück und irrsinnig verliebt!«
Nicole schaffte es, ihre Schwester anzulächeln. »Fährst du bald wieder nach London? Siehst du Lord Hortense noch?«
Regina sah sie verständnislos an. »Lenke nicht vom Thema ab!«
Die Zurechtweisung durch ihre kleine Schwester brachte Nicole sofort zum Überschäumen. »Lass mich bloß in Frieden! Das ist immer noch mein Leben! Wenn er sich auch nur das Geringste aus mir machen würde - dann käme er und würde mich holen! Zum Teufel mit ihm!«
Regina war schockiert.
Und Nicole hatte sich beinahe zugestanden, den unermesslichen Kummer, den sie nicht fühlen wollte, doch zu fühlen. Sie vergrub das Gesicht in den Händen. Ihre Schwester setzte sich neben sie und umarmte sie.
»Es tut mir Leid«, flüsterte Regina. »Du hast ja Recht, natürlich ist es dein Leben. Es ist doch nur, dass ich dich so lieb habe und möchte, dass du glücklich bist.« Sie ließ Nicole los.
Nicole wischte sich eine Träne ab und nickte. »Was würde ich ohne dich tun? Und ohne Martha? Bitte, bitte, haltet zu mir. Bitte stellt euch nicht auf seine Seite.«
Regina biss sich auf die Lippen. Sie blickte ernst und sehr betroffen und nickte zustimmend. »Willst du mir nicht erzählen, was geschehen ist?«, fragte sie.
»Nein.« Nicole seufzte tief und brachte dann ein Lächeln zustande. »Hier geht es mir viel besser. Und wenn ich über diese Ehe komplett hinweggekommen bin, werde ich ein neuer Mensch sein. Ich werde nach Dragmore zurückkehren. Mein Leben wird wieder genau so, wie es war - und ich werde wieder so glücklich, wie ich früher war.« Ihr Lächeln war zu strahlend.
Regina blickte sie traurig an. »Und wie wirst du über ihn hinwegkommen?«
Nicole wagte ihre Frage nicht ehrlich zu beantworten und schon gar nicht darüber nachzudenken. »Ich hoffe, ein Mann mit so viel Einfluss wie er wird schnellstens eine Scheidung erreichen.«
»Eine Scheidung!«
Nicole nickte. »Diese Ehe war von Anfang an ein Fehler. Ich habe ihm einen Brief geschrieben und ihn um die Scheidung gebeten.«
33
Er las den Brief noch einmal. Nicht das zweite oder das dritte oder vierte Mal. Er hatte ihn schon so viele Male gelesen, dass er den Inhalt längst auswendig kannte. Und wieder verschwammen die Worte. Die Tränen waren sowohl Tränen der Freude als auch des Leids. Guter Gott, er batte einen Sohn.
Sehr geehrter Herr,
ich bin der Sohn von Isobel de Warenne Braxton-Lowell. Ich
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