Rebellin der Leidenschaft
kann nur hoffen, dass Sie sich trotz der vielen Jahre, die vergangen sind, an meine Mutter und an das, was zwischen ihr und Ihnen war, erinnern. Kürzlich hat sie sich mir anvertraut. Ich war so überrascht, wie auch Sie es sicher sein werden, denn sie eröffnete mir nicht nur, dass sie vor so vielen Jahren Sie kannte, sondern auch, dass Sie mein leiblicher Vater sind. Ich hoffe, dass Sie am Leben sind, sich bester Gesundheit erfreuen und ich Ihre Bekanntschaft machen kann, natürlich nur, falls es Ihnen beliebt. Ein solches Treffen kann auf dem Boden Ihrer Heimat ebenso wie in der meinen stattfinden.
Bis dahin, Ihr ergebener
Hadrian de Warenne Braxton-Lowell,
der neunte Herzog von Clayborough
Er faltete den abgegriffenen Brief sorgfältig, denn er fing allmählich an, sich aufzulösen, und steckte ihn in die Innentasche seines Jacketts.
Er hatte einen Sohn.
Obwohl es nun schon Wochen her war, seit Hadrian Stone die wundersame Nachricht erhalten hatte, dass er einen Sohn habe, hatte er sich von dieser Entdeckung noch immer nicht erholt. Er war noch immer von dem Wissen um die Existenz seines Sohnes überwältigt. Seines Sohnes, der hoffte, ihn kennen zu lernen.
Hadrian Stone konnte diesen Tag selbst kaum erwarten.
Wie immer waren seine Gedanken mit diesem einen Thema beschäftigt, seinem Sohn. Seine Spekulationen überschlugen sich. Der Ton des Briefes war so formal und so korrekt, dass er den Worten weder ein Gesicht noch irgendwelche Gefühle zuordnen konnte. War es korrekt von seinem Sohn, ihn als einen Fremden anzusprechen - der er ja tatsächlich war -, oder hatte er es aus Vorsicht getan? Freute er sich, ihn zu sehen, oder war er nur neugierig, oder gar entsetzt? Vielleicht würde er sogar zornig werden. Sein Sohn war der neunte Herzog von Clayborough. Offensichtlich hatte er bis vor kurzem gedacht, der achte Herzog von Clayborough sei sein Vater. Würde er nicht zornig sein? Vielleicht fühlte er sich auch bedroht. Hadrian Stone kannte nur ein paar britische Lords, aber er wusste, dass sie auf ihr blaues Blut und ihre Titel größten Wert legten, und es lag nahe, dass der Titel seines Sohne nun leicht von Brüdern, Cousins, Onkeln oder sonst einem männlichen Verwandten angefochten werden konnte.
Aber aus welchem Grund auch immer, sein Sohn hatte um ein Treffen gebeten, entweder in Amerika oder in London. Stone hatte sich nicht einmal mit einer Antwort aufgehalten. Er war noch am selben Tag, an dem er das Schreiben erhalten hatte, in seiner Heimatstadt Boston an Bord des ersten Schiffes gegangen, das nach England fuhr.
Jetzt betrachtete er die Silhouette von London, die gerade in Sicht kam, während sich das Schiff unter Dampf die Themse hinaufplagte. Es war ein kühler, grauer Tag, und es nieselte, aber Hadrian Stone war an unfreundliches Wetter gewöhnt, er spürte die Kälte und die Feuchtigkeit kaum. Er rückte an seiner Krawatte, die ihn ebenso einengte wie der Anzug, den er trug. In seinen sechzig Jahren hatte er wahrscheinlich nicht öfter als ein Dutzend Mal einen Anzug getragen.
Er erstickte fast vor Freude. Sie überkam ihn wie eine riesige Woge, unvermittelt und heftig, wie so oft. Er batte einen Sohn. Sein Sohn war der Herzog von Clayborough. Es war ein wahr gewordener Traum.
Hadrian Stone hatte keine Kinder. Er hatte nie geheiratet. Nur einmal in seinem Leben hatte er heiraten wollen, hatte er eine Frau so sehr geliebt, dass er heiraten wollte. Aber das war lange her, es lag weit in der Vergangenheit. Er bedauerte das nicht sehr, denn er war kein Mensch, der sehr viel grübelte, sondern ein Mann der Tat, aber er hatte es immer bedauert, keine Kinder zu haben, und in letzter Zeit war diese Sehnsucht stärker geworden.
Und jetzt hatte er einen Sohn. Einen Sohn, der, wie er auch, soeben erst von seiner Existenz erfahren hatte. Einmal mehr fragte sich Stone, wie er wohl sein würde. War er zu stolz oder zu korrekt, um seine Gefühle in einem Brief an einen Fremden offen zu legen, der sein leiblicher Vater war? Auch Hadrian Stone war ein sehr stolzer Mensch, aber er hatte immer gewusst, wann er seinen Stolz hinunterschlucken musste, und hatte es dann auch immer getan. Andererseits interessierten ihn Dinge wie Anstand und Schicklichkeit nicht im Geringsten. Mit Form und Etikette hatte Stone nichts am Hut, doch der Ton des Briefes ließ ihn mehr und mehr vermuten, dass sein Sohn in dieser Hinsicht das krasse Gegenteil von ihm war.
Andererseits konnte er sich nicht vorstellen, dass sein Sohn
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