Rebellion Der Engel
Anblick des Parks schon ein Schauder über den Rücken lief, blieb ich auf der Straße, nahm den Weg außen herum und verließ die Hauptstraße erst am Friedhof. Es war, als markiere die Friedhofsmauer eine Trennlinie zwischen dem normalen Leben und einer vollkommen anderen Welt, die eigenen Gesetzen unterworfen war – eines davon schien zu sein, dass die Geräusche des Alltags nicht hierher fanden.
Ich hatte Hemmungen, einfach zum Pfarrhaus zu gehen und an die Tür zu klopfen, also beschloss ich, mir noch ein paar Minuten Zeit zu nehmen, um darüber nachzudenken, was ich sagen sollte.
Ich ignorierte die Abzweigung zum Pfarrhaus und folgte dem Kiesweg zur Kirche. Die weiß getäfelte Fassade schimmerte hell im Sonnenlicht und strahlte eine beruhigende Wärme aus, die mich ein wenig an das Gefühl erinnerte, das mich beim Klang von Akashiels Stimme überkommen hatte.
Ich zog die Tür auf und trat in das Zwielicht, das mich drinnen empfing. Die Kirche war einfach ausgestattet. Rechts und links des Mittelganges zogen sich Bankreihennach hinten und endeten etwa drei Meter vor der Tür, durch die ich hereingekommen war. Die hohen Fenster waren aus einfachem Glas, und abgesehen von Blumengestecken, dem Altarkreuz und einigen Kerzenständern und Gemälden, die wohl verschiedene Bibelstellen wiedergaben, war der Raum weitestgehend schmucklos. Trotzdem wirkte er hell und freundlich und weitaus einladender als so manch andere Kirche, die ich in meinem Leben gesehen hatte.
Ich ging an dem marmornen Weihwasserbecken vorbei, das neben der Tür stand, folgte dem Mittelgang nach vorne und setzte mich auf die Bank in der dritten Reihe. Nach all den Jahren, in denen ich keine Kirche mehr von innen gesehen hatte, fühlte es sich seltsam an, hier zu sein. Vielleicht hätte ich nicht herkommen sollen.
Ich wollte schon aufstehen und gehen, als plötzlich ein Kopf hinter dem Altar auftauchte. Kyle, der die ganze Zeit dort auf dem Boden gekniet haben musste, ohne dass ich es bemerkt hatte, stand auf und wuchtete einen Kupfertopf mit einem Blumengesteck auf den Tisch neben dem Altar.
»Rachel.« Als er mich bemerkte, wischte er sich die erdigen Finger an seinen Jeans ab und kam zu mir.
Ich warf einen Blick an ihm vorbei zum Altar. Erst jetzt sah ich den Sack mit Erde und die Blumen, die dahinter auf dem Boden lagen. »Sie kümmern sich um den Blumenschmuck? Ist das nicht Mrs Foleys Aufgabe?« Mrs Foley war seit über zwei Jahrzehnten Reverend Daniels’ Haushälterin. Sie war die gute Seele des Pfarrhauses und kümmerte sich um alles, wofür der Reverend keine Zeit oder schlicht keinen Nerv hatte.
Kyle blieb auf der anderen Seite des Mittelgangs stehen und lehnte sich gegen eine der Bänke. »Ich habe ihr freigegeben, solange der Reverend nicht da ist.«
»Wer schmeißt dann Ihren Haushalt?«
Sein Grinsen, gepaart mit den zerzausten Haaren, verströmte einen jungenhaften Charme, bei dem ich mich unweigerlich fragte, ob ein Mann Gottes wirklich so unverschämt attraktiv sein konnte. Durfte er das überhaupt?
»Ich weiß, wie die Mikrowelle und die Kaffeemaschine funktionieren, und kann den Geschirrspüler einschalten. Meine Klamotten sind ziemlich pflegeleicht.«
»Was ist mit den Hemden?«, hielt ich dagegen. Im Augenblick trug er zwar nur ein T-Shirt, doch für den Gottesdienst musste er ein Hemd anziehen. »Wer bügelt die?«
»Ich. Zumindest den Kragen und die Vorderseite. Alles andere wäre Zeitverschwendung, da man das unter dem Jackett ohnehin nicht sieht.«
Und ich hatte mich bisher für pragmatisch gehalten.
»Ich gebe Ihnen lieber nicht die Hand, es sei denn, Sie möchten ein wenig mit mir in der Erde buddeln.« Er hob seine Hände in die Höhe und zeigte mir die Handflächen, in deren Linien sich die Erde festgesetzt hatte. »Was führt Sie hierher?«
»Offen gestanden weiß ich das selbst nicht so genau.«
Er setzte eine gespielt gekränkte Miene auf und fasste sich mit der Hand ans Herz. »Rachel, das schmerzt mich! Mein Ego hätte gern gehört, dass Sie meinetwegen gekommen sind.«
»Bin ich«, sagte ich schnell, und als mir klar wurde, wie sich das anhörte, fügte ich hinzu: »Also, irgendwie jedenfalls.« Was meine Worte auch nicht besser klingen ließ.
»Was ist denn?«
»Eigentlich nichts. Es … ich weiß nicht … Es ist … Glauben Sie an Engel?«
Anstelle einer einfachen Antwort sah er mich an und entgegnete: »Tun Sie es?«
»Das ist unfair«, entfuhr es mir. »Ich habe zuerst gefragt.«
Ich
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