Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition)
Menschen betrieben wird und von ihnen erfunden wurde, aber es ist das Beste, das wir haben, und das müssen wir schützen. Es wäre das Ende des Rechtsstaats, wenn der Forderung Alice Schwarzers, der Angeklagte müsste beim Vorwurf eines Sexualdelikts seine Unschuld beweisen, stattgegeben würde. Ausnahmen und Sonderregeln sind letztlich nichts anderes als eine Bevorzugung beziehungsweise Benachteiligung von be stimmten Gruppen. Aber wer bestimmt, welche Gruppen bevorzugt oder benachteiligt werden? Und mit welchem Recht? Auf welcher Grundlage?
Es gibt keine Grundlage, auf der Frau Schwarzer und Co. verlangen könnten, dass eine Unschuldsvermutung für diejenigen gelten solle, die vorgeben, Opfer einer Straftat geworden zu sein, und dass die von diesen als Täter Benannten ihre Unschuld beweisen sollten, ganz im Gegenteil. Man stelle sich vor, wohin es führen würde, wenn es tatsächlich eine entsprechende Gesetzesänderung gäbe, wie es mittlerweile schon ganze »Opferverbände« fordern. Das würde bedeuten, dass ein Mann von seiner Nachbarin, Mitarbeiterin, Sekretärin, Freundin oder Ehefrau, mit der er in Scheidung lebt und die das alleinige Sorgerecht für die gemeinsamen Kinder will, angezeigt und beschuldigt werden kann, er habe sie oder gar die eigenen Kinder missbraucht, und dann beweisen müsste, das ihm Vorgeworfene nicht getan zu haben. Wie sollte ihm das gelingen?
Falls es sich bei dem Beschuldigten beispielsweise um einen Firmeninhaber oder einen Lehrer handelt und das öffentliche Interesse groß genug ist, dass irgendeine Zeitung über ihn berichtet, ist er innerhalb weniger Tage ruiniert. Dann erscheint sein Foto (der Balken wird gerne vergessen) zusammen mit seinem meist nur abgekürzten Nachnamen in der Zeitung und darunter steht, dass er ein Vergewaltiger sei (auch »mutmaßlich« wird ja gern weggelassen). Und jetzt soll er aus der Untersuchungshaft heraus versuchen, sich zu verteidigen und zu beweisen, dass er die Tat nicht begangen hat, während gleichzeitig innerhalb kurzer Zeit seine Firma den Bach runtergeht oder seine Ehefrau die Konten sperren lässt, wogegen er sich in Untersuchungshaft kaum wehren kann.
Der Staatsanwalt glaubt der Frau, weil sie vermeintlich kein Motiv und ihrer Freundin schon letzte Woche alles erzählt hat, die selbstverständlich bestätigt, dass sie das selbst ernannte Opfer noch nie so auf gelöst gesehen habe. Frühere Freunde des Mannes wenden sich schnel ler ab, als man ihren Namen aussprechen kann, als Angestellter ist man seinen Job in wenigen Wochen los, und im Knast ist man ganz unten in der Hackordnung. Kurz, das Leben ist zerstört.
Auch ohne Gesetzesänderung ist das alles schon jetzt so, denn wie man an Jörgs Fall deutlich ablesen konnte, ist die »Beweislastumkehr« (auch wenn dies eigentlich ein Begriff aus dem Zivilrecht ist) für sehr viele Polizisten und Strafverfolgungsbehörden bereits Realität.
Jörg musste bis zum Schluss kämpfen, um nicht doch noch verurteilt zu werden – und das, obwohl eine rechtsmedizinische Begutachtung von Anfang an ergeben hat, dass all die Verletzungen von Claudia Dinkel äußerst ungewöhnlich und mit der Geschichte der Nebenklägerin nicht in Einklang zu bringen seien, sondern eher für Manipulation und Selbstverletzung sprächen. Und obwohl keine DNA von Jörg an der angeblichen Tatwaffe gefunden wurde. Und obwohl Frau Dinkel Lügen nachgewiesen wurden und die psychologischen Untersuchungen vernichtend für ihre Glaubwürdigkeit waren.
Staatsanwalt Oltrogge sagte nach dem für die Anzeigeerstatterin wirklich desaströsen Gutachten zu ihrer Glaubwürdigkeit nur, »dass auch dieser Gutachter eine Falschaussage nicht beweisen konnte«. Dabei ignorierte er, dass psychologische Gutachter Falschaussagen nicht beweisen; sie können immer nur Wahrscheinlichkeiten aussprechen, das ist gesetzlich festgelegt, ansonsten überschreitet der Gutachter seinen Auftrag und wird von Gericht und Staatsanwaltschaft als befangen abgelehnt.
Das Zitat von Staatsanwalt Oltrogge zeigt, dass er den Grundsatz der Strafprozessordnung, wonach dem Angeklagten die Tat zweifelsfrei nachzuweisen ist und nicht umgekehrt der Angeklagte seine Unschuld zu beweisen hat, nicht zu begriffen haben scheint. Leider ist er nicht der Einzige, der das nicht begriffen hat oder nicht begreifen will.
Ohne unabhängige und objektive Justiz ist Demokratie nicht mehr gewährleistet; dann beginnt der Zerfall des Rechtsstaates. Dann kann man nämlich einfach
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