Reid 2 Die ungehorsame Braut
ohnehin nicht sonderlich erpicht darauf, seine Wünsche zu berücksichtigen; das bedeutet, dass ich Ihren Namen ganz unten auf die Liste möglicher Heiratskandidaten setzen würde, weil Sie bei ihm ganz oben stünden. Verstehen Sie jetzt besser, was ich sagen möchte?«
»Ihre Logik ist ein wenig verdreht, aber ja, ich glaube verstanden zu haben. Ich komme schon aus Prinzip nicht infrage, weil Sie Ihrem Vater eins auswischen wollen. Allein Ihre Gehässigkeit diktiert Ihnen, was Sie tun müssen, habe ich recht?«
Ophelia rollte mit den Augen. »Hätte ich mir denken können, dass Sie meine Gehässigkeit wieder ins Spiel bringen würden.«
»Halten Sie es denn nicht für Gehässigkeit?«
»Ich kann Ihre Sichtweise nachvollziehen, aber Sie haben nicht die geringste Ahnung, wie die Dinge zwischen mir und meinem Vater liegen.«
»Ich vermute, Sie sind einander nicht sonderlich zugetan.«
»So kann man es nicht sagen. Ich hege keinen Groll für ihn, sondern habe lediglich aufgehört, ihn zu lieben. Man könnte sagen, dass wir uns tolerieren. Aber ich bin es satt, dass er mich für seine Zwecke benutzt. Wenn Sie mir nicht glauben, dann denken Sie einmal in Ruhe darüber nach, was er mir allein in diesem Jahr schon angetan hat. Hat mich mit einem Barbaren verlobt und mich den Wölfen zum Fraß vorgeworfen.«
»Sie nennen mich einen Wolf?«
»Gratuliere, Sie Schlaumeier.«
Raphael lachte. »Verstehe.«
»Wie schön. Sollte ich also den Richtigen finden, werde ich ihn vom Fleck weg heiraten, ohne meinen Vater um Erlaubnis zu bitten.« Mit diesen Worten drehte sie sich um und lief den Flur hinunter. Es dauerte einen Augenblick, bis sie den Mut fand, über die Schulter hinweg hinzuzufügen: »Nachdem ich Ihnen reinen Wein eingeschenkt habe, sollten Sie nicht bestürzt sein, wenn ich Ihnen sage, dass Ihre Theorie meine Fantasie beflügelt hat.«
Sie bemerkte, dass Raphael dastand, als wäre er zu Stein erstarrt. Er wusste genau, was sie meinte. »Ich finde... Sie sollten in einer stillen Minute darüber nachdenken.« Im nächsten Moment entglitt ihm ein Seufzer. »Ich fasse es nicht, dass ich das gerade gesagt habe.«
»Sie sollten wissen, dass ich noch nie in meinem Leben...«
»Sich einem Mann hingegeben haben?«
»Das wissen Sie doch«, sagte sie und errötete. »Ich meine unseren... Kuss. Seitdem habe ich das Gefühl, viel mehr in mir zu ruhen.«
»Ihnen ist aber schon klar, dass ich es nicht ganz ernst gemeint habe, als ich davon sprach, dass Ihre Leidenschaft lediglich ein Ventil braucht?«
»Wie bitte? Sie haben das nur so dahergesagt? Und das, obwohl es in jeder Hinsicht Sinn ergibt? Zumal der Kuss eine beruhigende Wirkung auf mich hatte. Nehmen wir nur einmal Ihre Schwester als Beispiel. Ihre Eifersucht und ihre verletzenden Bemerkungen sind förmlich an mir abgeprallt. Wissen Sie was? Wenn Sie mir nicht helfen wollen, Ihre Theorie zu überprüfen, suche ich mir eben einen anderen. Wenn Sie recht behalten, werde ich auf diese Weise die Hälfte meiner Makel mit einem Schlag los. Ich wäre dumm, wenn ich mir die Gelegenheit entgehen ließe.«
»Auch auf die Gefahr hin, diese einmalige Chance zu verpassen, halte ich es für angebracht, Sie darauf hinzuweisen, dass es nichts brächte, wenn Sie jetzt mit einem Mann schliefen, wo Sie mit sich selbst im Reinen sind.«
Ophelia legte die Stirn in Falten und schnappte laut nach Luft. »Daran hatte ich ja noch gar nicht gedacht. Aber Sie haben vollkommen recht. Womöglich hat der Kuss einen langanhaltenden Effekt und...« Doch Raphael schüttelte nur den Kopf. »Nein? Nun ja, dann werde ich erst mal sehen, wie lange die Wirkung anhält. Gute Nacht.«
»Phelia.«
Ophelia tat, als hätte sie ihn nicht gehört, und lief eiligen Schrittes in ihr Zimmer. Wie peinlich! Vermutlich dachte er jetzt, sie hätte ihm nur deshalb Avancen gemacht, weil er sowieso keine ernsten Chancen bei ihr hatte. Aber musste er sie wirklich so grob mit der Nase darauf stoßen, dass er es nicht einmal ernst gemeint hatte?
Kapitel vierundzwanzig
R aphael stand am Salonfenster und beobachtete Ophelia, die gerade einen Spaziergang unternahm. Er hatte entschieden, ihr dieses Mal keine Gesellschaft zu leisten. Seine Laune war seit dem Vorabend auf dem Tiefpunkt. Dennoch hatte er das Bedürfnis, sie zu beobachten.
Der Tag hatte sonnig begonnen, sodass der Schnee, der Ophelia so große Freude bereitete, nicht mehr lange liegen bleiben würde. Von Bartholomew wusste er, dass die Wintermonate
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