Reid 3 Ungezähmte Sehnsucht
betrat.
Der Raum, den Lady Sarah ihr Büro nannte, war nur unwesentlich größer als eine Besenkammer. Es passte kaum mehr hinein als der Schreibtisch, hinter dem Rebeccas Vorgesetzte saß und auf dem sich unzählige Papiere stapelten. Vor dem Tisch standen zwei unbequem anmutende Besucherschemel aus Holz. Der qualmenden Öllampe war es zu verdanken, dass ein nebeliger Rauchschleier in der Luft hing, der Sarah Wheeler, die nicht gerade eine Ausgeburt an Schönheit war, schmeichelte, ihr weichere Konturen verlieh.
Rebecca fand dennoch, dass Sarah kein uninteressantes Gesicht besaß, was an ihren eng zusammenstehenden grauen Augen und der länglichen Gesichtsform liegen mochte. Ihre krumme Nase, die aussah, als wäre sie einmal gebrochen gewesen, gereichte ihr hingegen eher zum Nachteil. Es war schwer abzuschätzen, wie alt sie war. Rebeccas Meinung nach musste die hagere und wenig weiblich anmutende Frau Anfang dreißig sein. Es brannte ihr auf der Zunge, ihr zu sagen, dass sie das schwarze Haar viel zu eng am Kopf frisiert trug und dass ein Pony ihrem Gesicht etwas mehr Weichheit verleihen würde.
»Ihr seid also Rebecca Marshall«, hob Lady Sarah an. Ohne auf eine Zustimmung seitens Rebecca zu warten, fuhr sie fort: »Ihr habt gut daran getan, pünktlich im Palast vorstellig zu werden. Ich bin übrigens Sarah Wheeler, und es gehört zu meinen Aufgaben hier am Hofe, darauf zu achten, dass Ihr nicht dem Müßiggang frönt, sondern Euren Pflichten nachkommt und stets verfügbar seid, wenn die Herzogin nach Euch verlangt. Euer Aufenthalt im Palast kommt sowohl dem Hofe als auch Euch selbst zugute. Wenn Ihr tut, was ich von Euch verlange, und mir keinen Anlass zur Klage gebt, werden wir blendend miteinander auskommen. «
Lady Sarah lächelte gekünstelt - vermutlich, um Rebecca zu beruhigen, wenngleich das nicht nötig war.
»Seid Ihr eigentlich darüber informiert, dass heute Abend ein Maskenball stattfindet? Es ist durchaus denkbar, dass die Königin daran teilnimmt. Wenn nicht, wäre das jedoch auch verständlich. Schließlich befindet sie sich bereits im letzten Drittel ihrer zweiten Schwangerschaft. Wie dem auch sei, Eure Anwesenheit ist unabdingbar. Wart Ihr so umsichtig, eine Kostümierung mitzubringen? «
»Da meine Abreise in Windeseile vorbereitet werden musste, ist bedauerlicherweise sowohl meiner Mutter als auch mir diese Notwendigkeit entfallen. Aber meine Zimmergenossin war so freundlich, mir dabei zu helfen, ein Kostüm zusammenzustellen. «
»Ihr teilt Euch ein Gemach mit Elizabeth Marly, wenn ich mich nicht irre? Ein gutes Mädchen. Ich bin überzeugt davon, dass Ihr viel von ihr lernen könnt. Aber seid das nächste Mal besser vorbereitet! «
Rebecca musste angesichts der schmeichelnden Worte, die Sarah für Elizabeth fand, schmunzeln. Aber hatte Evelyn nicht erwähnt, dass Elizabeth und Sarah eine enge Freundschaft verband? »Darauf gebe ich Euch mein Wort«, versicherte Rebecca ihr hastig. »Ich habe bereits einen Boten entsandt, um... «
»Wegen des Balls«, fiel Sarah ihr ins Wort, als hätte sie keinerlei Interesse an Informationen, nach denen sie nicht verlangt hatte. »Ich hätte unter Umständen eine besondere Aufgabe für Euch - eine, die von größter Wichtigkeit ist. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob Ihr dem auch wirklich gewachsen seid. « Nachdem sie nachdenklich die Lippen geschürzt hatte, fügte sie hinzu: »Ich bin überzeugt davon, dass Ihr so unschuldig seid, wie Ihr sein solltet. Die Frage ist nur, wie naiv Ihr seid. «
Gerade noch hatten die anderen Mädchen von Sarahs Spezialaufgaben erzählt, und jetzt sollte Rebecca bereits in den Genuss derselben kommen? Damit hatte sie nun wahrlich nicht gerechnet. Sollte sie sich allen Ernstes in die höfischen Ränkespiele verwickeln lassen oder von Anfang an ablehnen? Was aber, wenn sie ihrem Vaterland damit einen Dienst erwies? Wenn sie ablehnte, würde sie sich vielleicht die Gelegenheit verbauen, die Königin näher kennenzulernen...
Beflügelt von der Aussicht, als Heldin gefeiert zu werden, antwortete Rebecca schließlich: »Nur so naiv, wie es die Umstände erfordern. «
Sarah Wheeler gluckste. »Diese Antwort gefällt mir. Ich denke, ich werde Euch eine Chance geben. «
Kapitel 8
Doch Rebeccas Enthusiasmus war so schnell verflogen, wie er gekommen war. Sie hielt es nämlich für wenig heroisch, in das Gemach eines männlichen Gastes zu schleichen und es zu durchsuchen. Es war nicht nur wenig heroisch, es war durch
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