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Remes, Ilkka - 2 - Hochzeitsflug

Remes, Ilkka - 2 - Hochzeitsflug

Titel: Remes, Ilkka - 2 - Hochzeitsflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilkka Remes
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missglückt.«
    Sylvia schluckte. »Was ist das?«
    »Eine Notoperation, bei der man den Brustkorb öffnet und das Herz herausnimmt. Der Herzbeutel darf sich nicht mit Blut aus der Stichwunde füllen, er muss geöffnet werden.«
    »Das hört sich an, als hättest du dir zu viel vorgenommen.«
    »Ich wusste genau, was zu tun war. Im Jahr zuvor hatte ich als Notarzt gearbeitet und dabei das ein oder andere getan, was sich nicht jeder traut. Ich besaß alle Voraussetzungen, um Erfolg zu haben. Wenn wir kein Bier getrunken hätten...« »Bei so etwas hilft kein >Wenn<.«
    »Ich weiß. Aber anschließend war ich mir selbst als Arzt nicht mehr gut genug. Niemand hat mir einen Vorwurf gemacht. Natürlich nicht. Es wäre übrigens ein Wunder gewesen, wenn der Eingriff geglückt wäre. Der Mensch ist ein so kleines Wesen.«
    »Wenn man jung ist, kommt einem nichts unmöglich vor.«
    »In keinem Alter darf einem etwas unmöglich vorkommen.«
    »Du bist ein kindischer Kerl.« Sylvia wandte sich ab und ging davon. Doch dann blieb sie noch einmal abrupt stehen und drehte sich um. »Eines verbindet uns, auch wenn du das nicht merkst. Wir suchen beide verzweifelt nach einem Sinn für unser Leben. Sehr verzweifelt.« Sie lächelte und wandte sich endgültig ab. Christian sah zu, wie sie nach und nach im Regen verschwand. Was für eine eigenartige Frau. Dann kam er wieder zu sich. Er musste so schnell wie möglich von Kotor wegkommen und seine Kollegen anrufen. Auf die Behörden wollte er sich nicht mehr verlassen, und ohne Pass käme er nicht aus dem Land heraus.
    In vorsichtigem Laufschritt machte er sich auf den Weg. Es hatte unglaublich gut getan, über Sven zu sprechen, aber Tinas Schwangerschaft und das Bild von dem anderen Mann hatten ihn verwundbar und zerbrechlich gemacht. Natürlich war das Kind von ihm. Oder doch nicht? Der küssende Mann war ihm irgendwie bekannt vorgekommen. Wo hatte er diese lockigen Haare früher schon einmal gesehen?
    Er trat vorsichtig aus dem Wald auf die Straße und versuchte einzuschätzen, wie intensiv man ihn wohl verfolgte. Uralte Bäume säumten die Straße, die bei dem schlechten Wetter menschenleer war und düster wirkte. Christian beschleunigte seine Schritte und sah sich unentwegt um. Er registrierte das Straßenschild mit der Aufschrift Bulevar crnogorskih junaka und die schwarz umrandeten Todesanzeigen mit Foto und kyrillischer Aufschrift, die an den Bäumen befestigt waren.
    Er kam an einer kleinen Kirche vorbei und ging entlang einer Mauer auf ein orthodoxes Kloster mit hohem Turm zu. Er glaubte, im Regen hinter sich Schritte zu hören, blickte rasch über die Schulter, sah aber nur einen Bettler, der am Klostertor kauerte. Auf die Mauer war das Symbol Großserbiens gemalt: ein Kreuz mit einem C an einer Ecke. Der Wind schlug Zweige gegen die Hauswände. Christian fühlte sich mit einem Mal elend und einsam. Wo war sein Wille jetzt? Sein chromglänzender, bärenstarker, jugendlich trotziger Wille, mit dem er nach der Tragödie mit Sven geglaubt hatte, sich als Forscher einen Weg in die Geschichtsbücher bahnen zu können? Er hatte sich ernsthaft vorgestellt, einst vor das Nobel-Komitee zu treten und seinen Preis in Empfang zu nehmen. Der Gedanke war so idiotisch und pathetisch, dass sich Christians Mundwinkel zu einem bitteren Lächeln verzogen.
    Plötzlich hielt er inne. An der nächsten Kreuzung stand ein eckiger alter Polski Fiat mit der Aufschrift POLICIJA. Christian machte unauffällig kehrt, merkte aber noch, wie ein Mann über die Straße zu dem Fahrzeug rannte. Im selben Moment ertönte ein kurzer Pfiff aus einer Trillerpfeife.
    Beiderseits der Straße reihte sich ein niedriges Haus ans andere, dazwischen gab es keine Tore, die zu den Gärten oder Hinterhöfen führten. Das Polizeiauto fuhr an. Christian blieb vor der erstbesten Haustür stehen. Er klopfte an das feuchte Holz. Keine Reaktion.
    Hastig klopfte er erneut. Dabei knirschten die Scharniere und er merkte, dass die Tür nicht fest geschlossen war, und stieß sie auf. Im Flur war es dunkel, aber man konnte erkennen, dass auf dem Boden einige Männerhalbschuhe sowie ein einzelner Frauenschuh mit hohem Absatz lagen. Christian machte ein paar zögernde Schritte und spürte etwas Rundes unter seinem Fuß. Er bückte sich und betastete es. Eine leere Weinflasche.
    Er wollte gerade weiter durch das Haus in den Garten gehen, als der Fußboden knarrte und ihn eiserne Fäuste an den Schultern packten. Ohne auch nur einen Moment

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