Remes; Ilkka - 5 - Höllensturz
Möglichkeiten«, sagte er. Lopponen war ein sehniger Typ mit dunklen Augenbrauen, den man sich bestens an einem Lagerfeuer in der Wildnis vorstellen konnte. Seine stechenden Augen schienen unablässig entfernte Gegenden zu durchkämmen, als rechnete er damit, dass jeden Moment ein Stück Wild auftauchte. Der herbe Eindruck wurde durch eine Narbe am Kinn verstärkt, die er immer wieder aus Gewohnheit mit der Hand berührte. »Das eine heißt Oase , das andere Zum lappischen Herbst . In den Lappischen Herbst gehen fast alle, die hier und in der Stadtverwaltung arbeiten. Und die von der Kirchengemeinde natürlich auch.«
»Mit anderen Worten: Der Besitzer ist Laestadianer?«
»Das Fräulein fängt allmählich an zu lernen«, sagte Lopponen und vermittelte den Eindruck, als wisse er genau, wie er Johanna provozieren konnte. »Aber dort gibt es nur Mittagessen. Die Oase hat auch abends geöffnet. Sie gehört einem Libanesen und seiner finnischen Frau und hat nur sporadisch Gäste. Zu Mittag essen dort diejenigen, die öffentlich ihre Unabhängigkeit von den Laestadianern demonstrieren wollen. Aber viele sind das nicht. Die meisten wollen ein gutes Verhältnis zu den ›wichtigen‹ Leuten vor Ort haben, auch wenn sie selbst nicht religiös sind. Es schadet ja schließlich nicht. Wenn man zum Beispiel mal von der Stadt ein Grundstück kaufen will oder sich um eine Stelle bewirbt oder so … Gehen wir essen?«
»Einverstanden«, sagte Johanna. »Später. Ihr wisst, was ihr zu tun habt, ich mache einen Besuch in der Schule. Wo ist die?«
Lopponen zeigte es ihr auf der Karte, die an der Wand hing.
»Ziemlich groß, nehme ich an, wenn man bedenkt, wie groß die Familien in dieser Gegend sind«, sagte Johanna. Sie wunderte sich noch immer darüber, wie munter die Mutter von sechs Kindern im Schuhgeschäft gewesen war und was für eine glatte Haut sie gehabt hatte. Wie war eine solche Frische nur möglich? Johannas beste Freundin Riitta hatte ein Schrei-Kind und sah aus wie ein Frontsoldat, der ums Überleben kämpfte.
»Nun mal nicht so voreilig mit den Schlussfolgerungen«, sagte Lopponen. »Nicht alle Bruten fallen hier so groß aus. Aber die Laestadianer treiben den Mittelwert nach oben. Die Familien Sumilo und Helkovaara halten allein schon eine Schulklasse am Leben.«
Johanna hielt Lopponens Worte für übertrieben, bis dieser fortfuhr: »Die erste Frau vom Helkovaara starb nach dem vierzehnten Kind, und bei der neuen ist gerade das siebte im Kommen. Aber der Paavo hat ja Geld genug für Brot.«
Johanna fragte sich, ob die Frau aus dem Schuhgeschäft die zweite Frau von diesem Paavo Helkovaara sein mochte. Sie wunderte sich über die Kinderzahl lediglich wegen der biologischen Leistung, ansonsten mussten die Leute schließlich selbst wissen, wie viele Kinder sie in die Welt setzten.
Kekkonen, Vuokko und Kulha machten sich unter Lopponens Führung auf den Weg, um mit Leuten zu sprechen, die die Opfer gekannt hatten, Hedu und Jarva konzentrierten sich auf die Analyse der technischen Ermittlungen. Die beiden bildeten ein äußerlich ungleiches Gespann; der kleine Aki Jarva mit seinen hohen Winterstiefeln und seinem sorgfältigen, beinahe stutzerhaften Stil war das genaue Gegenteil zu Hedus Penner-Look.
Polizeichef Sumilo kam nach der Besprechung zu Johanna und stellte Fragen, als spielte er in den Ermittlungen eine Rolle.
»Entschuldigung, ich habe es eilig«, sagte Johanna.
»Aus gutem Grund«, brummte Sumilo. Johanna ahnte schon, dass ihr dieser Mann noch Schwierigkeiten bereiten würde.
Sie wählte Saara Vuorios Nummer. Saaras angenehme, sanfte aber selbstbewusste Stimme bat auf Englisch und Finnisch darum, eine Nachricht zu hinterlassen.
Johanna brach die Verbindung ab. Sie wollte keine Nachricht hinterlassen. Ob Saara durch ihren Mann überhaupt schon von den Morden erfahren hatte?
Als Nächstes rief sie Tomi Stenlund an. »Ich möchte mich noch einmal etwas ausführlicher mit Ihnen unterhalten«, sagte sie freundlich.
Am anderen Ende der Leitung war es einen Moment still. »Wann? Ich bin am Syöte-Fjäll und warte gerade …«
»Ich bin in einer Stunde bei Ihnen zu Hause.«
»Ich weiß nicht, ob ich das schaffe …«
»Das schaffen Sie schon. Bis dann.«
Johanna wollte Stenlunds Wohnung sehen. Im Moment gab es allen Grund, die klare Botschaft zu vermitteln, dass die Polizei ernsthaft bei der Sache war.
Vierhundert Meter von seinem Haus entfernt steckte Tomi Stenlund das Handy in die Tasche.
Das
Weitere Kostenlose Bücher