Requiem (Amor-Trilogie) (German Edition)
gibt es keine einzige überflüssige Bewegung – Ordnung, Form und Effizienz sind ihre Markenzeichen. All das habe ich von Fred gelernt.
Ich durchquere mehrere große Bankettsäle, die alle dunkel und offenbar für private Feierlichkeiten gedacht sind, und erkenne schließlich das weitläufige Klubhaus-Café, in dem Fred und ich mal zusammen Mittag gegessen haben. Schließlich entdecke ich die Damentoilette: ein rosa Raum wie ein riesiges parfümiertes Nadelkissen.
Ich stecke mir die Haare hoch und tupfe mein Gesicht schnell mit Papiertüchern ab. Gegen den Fleck kann ich nichts machen, also nehme ich die Schärpe von meiner Taille, binde sie mir locker um die Schultern und knote sie vor meiner Brust zusammen. Ich habe zwar schon besser ausgesehen, aber wenigstens bin ich so halbwegs vorzeigbar.
Jetzt, da ich weiß, wo ich bin, wird mir bewusst, dass ich eine Abkürzung zurück zum Ballsaal nehmen kann. Als ich aus der Toilette komme, biege ich nicht rechts, sondern links ab und gehe in Richtung der Aufzüge. Ich höre leises Stimmengemurmel und das Rauschen eines Fernsehgerätes.
Eine halb offene Tür führt in eine Küche. Mehrere Kellner mit gelockerten Krawatten und teilweise aufgeknöpften Hemden, deren Schürzen zusammengeknüllt auf der Arbeitsplatte liegen, sitzen vor einem kleinen Fernseher. Einer von ihnen hat die Füße auf die glänzende Metallplatte gelegt.
»Mach mal lauter«, sagt eins der Küchenmädchen und er grunzt und beugt sich vor, um am Lautstärkeknopf zu drehen, wozu er die Beine runternehmen muss. Als er sich wieder zurücklehnt, kann ich einen Blick auf die Fernsehbilder werfen: eine schwankende grüne Masse, von schwarzen Rauchschwaden durchzogen. Es durchzuckt mich vor Aufregung und unwillkürlich erstarre ich.
Die Wildnis. Das muss sie sein.
Ein Nachrichtensprecher sagt: »Im Bemühen, die letzten Brutstätten der Krankheit auszurotten, dringen Aufseher und Regierungstruppen in die Wildnis vor …«
Nun sind Bodentruppen in Tarnanzügen zu sehen, die winkend und in die Kamera grinsend über eine Autobahn marschieren.
»Während sich das Konsortium versammelt, um über die Zukunft dieser unmarkierten Gebiete zu diskutieren, hielt der Präsident eine unangekündigte Ansprache vor der Presse, in der er gelobte, die noch verbleibenden Invaliden aufzustöbern und zu bestrafen oder zu behandeln.«
Bilder von Präsident Sobel erscheinen, der sich wie immer weit gegen das Rednerpult lehnt, als würde er es am liebsten in die Menge aus Kameras vor ihm kippen.
»Es wird Zeit und Truppen erfordern. Es wird Furchtlosigkeit und Geduld erfordern. Aber wir werden diesen Krieg gewinnen …«
Grün und Grau, Rauch und Pflanzen und winzige gezackte Flammenzungen sind jetzt wieder zu sehen. Und dann noch ein Bild: weitere Pflanzen, ein Bach, der sich zwischen Kiefern und Weiden hindurchschlängelt. Und dann noch eins, diesmal von einem Ort, wo die Bäume alle bis zur roten Erde abgebrannt sind.
»Was Sie hier sehen, sind Luftbilder aus dem ganzen Land, wo unsere Truppen eingesetzt werden, um Jagd auf die letzten Träger der Krankheit zu machen …«
Zum ersten Mal wird mir klar, dass Lena aller Wahrscheinlichkeit nach tot ist. Es ist idiotisch, dass ich bis jetzt nie daran gedacht habe. Ich sehe, wie der Rauch aus den Bäumen aufsteigt, und stelle mir vor, wie kleine Teile von Lena damit hinwegtreiben: Nägel, Haare, Wimpern, alles zu Asche geworden.
»Machen Sie das aus«, sage ich unwillkürlich.
Alle vier Kellner drehen sich auf einmal um. Augenblicklich stehen sie auf, rücken ihre Krawatten zurecht und fangen an, ihre Hemden in die hochgezogenen Bünde ihrer schwarzen Hosen zu stecken.
»Können wir etwas für Sie tun, Miss?«, fragt einer von ihnen – ein älterer Mann – höflich. Ein anderer streckt die Hand aus und stellt den Fernseher ab. Die darauf folgende Stille ist überraschend.
»Nein, ich …« Ich schüttele den Kopf. »Ich versuche nur, den Weg zurück zum Ballsaal zu finden.«
Der ältere Kellner blinzelt einmal mit unbewegter Miene. Er tritt hinaus auf den Flur und zeigt auf die Aufzüge, die keine drei Meter entfernt sind. »Sie müssen einfach nur ein Stockwerk hochfahren. Der Ballsaal befindet sich am Ende des Flurs.« Er muss mich für bescheuert halten, aber er lächelt weiterhin freundlich. »Soll ich Sie nach oben begleiten?«
»Nein«, sage ich zu heftig. »Nein, ich finde es schon.« Ich renne geradezu den Flur entlang und spüre die Blicke der
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