Revanche - Exposure
und hielt ihr die prall gefüllten Hände hin.
»Hi, Clare«, begrüßte Emma die Inselbewohnerin. »Auch ein bisschen frische Luft schnappen?«
Clare schüttelte den Kopf. »Na ja, nicht ganz. Als ich im Laden die Fenster putzte, sah ich, dass Sie zum Strand runtergingen. Und da dachte ich, ich könnte Ihnen in der Mittagspause kurz Hallo sagen.« Sie gab Gracie einen kleinen, gelben Plastikeimer mit Schaufel. »Das ist für dich, Schätzchen«, sagte sie mit einem weichen, wehmütigen Lächeln. »Am Strand brauchen Kinder ein Sandeimerchen.«
Gracie ließ eine Hand voll Muscheln in den Eimer
prasseln. »Schön gelb!« Sie strahlte. »Guck mal, Mommy, ein Eimer für Muscheln.« Sie begann, den Inhalt ihrer Taschen in den Eimer umzufüllen.
Emma kniete sich neben sie und bewunderte das neue Spielzeug. »Es war sehr nett von Mrs. Mackey, dass sie dir ein Geschenk mitgebracht hat, Gracie. Und was sagt man dann?«
»Danke! S’il vous plaît .« Gracie strahlte Clare an und begann mit der Schaufel in dem Eimer herumzurühren.
Clares Blick glitt von der Kleinen zu Emma. »Ich find’s schade, dass Sie am Donnerstag wieder abreisen«, sagte sie leise.
Emma blinzelte verdutzt. »Meine Güte, Cher , hat sich das so schnell rumgesprochen? Ruby hat mich erst heute Morgen gefragt, ob ich das Zimmer noch eine weitere Woche haben will.«
»Ja, ich weiß. Jenny Suzuki hat es mitbekommen und mir dann erzählt, als sie bei uns im Geschäft war.«
»Ich weiß gar nicht, wie sie aussieht«, gestand Emma. »Ist Jenny die Frau mit dem süßen Baby?«
»Ja, Niko. Sie war richtig enttäuscht, denn sie wollte Sie eigentlich bitten, auch mal nach ihrem Wagen zu sehen. So wie für Ruby.«
»Eine Inspektion?« Emma richtete sich auf. »Mmh, vielleicht sollte ich mir mal durch den Kopf gehen lassen, ob wir nicht doch noch eine Woche bleiben.« Sie rollte die Schultern und setzte entwaffnend ehrlich hinzu: »Offen gestanden kann ich das Geld wirklich gebrauchen.« Sie spähte zu Gracie. »Andererseits hat es wenig Zweck. Wenn Sie mir neulich nicht die Kleine abgenommen hätten, wäre ich nämlich immer noch mit Rubys Auto zugange.«
»Das übernehm ich gern wieder. Es macht mir Spaß, mit Gracie zu spielen.«
»Und … und Ihre Arbeit im Laden?«
»Ich arbeite sowieso nur stundenweise.« Clare zuckte die Schultern. »Außerdem ist es ein Familienbetrieb. Da kann ich mir das frei einteilen.« Sie zögerte und setzte dann hinzu: »Gracie erinnert mich an … jemanden.« Mit einer Verlegenheitsgeste strich sie sich die Haare zurück und meinte seufzend: »An meinen Sohn. Ich hab die Kleine gern um mich.«
»Ich wusste ja gar nicht, dass Sie einen Sohn haben.« Emmas Augen leuchteten auf. Wie schön, sich wieder mit anderen jungen Müttern austauschen zu können! »Wie heißt er denn? Und wie alt ist er?«
Prompt verwünschte sie sich für ihre Impulsivität. Clare war blass geworden, ihr Blick seltsam melancholisch.
Gleichwohl antwortete sie mit ruhiger, fester Stimme: »Er hieß Evan Michael, Emma. Und er war sechs Jahre alt, als er starb.«
Als Sam in die Küche kam, telefonierte Clare gerade. Er nahm sich einen Kaffee, lehnte sich an die Arbeitsplatte und beobachtete sie schweigend. Schon seit langem hatte er sie nicht mehr so aufgekratzt erlebt. Nicht mehr seit Evans Tod.
»Okay«, sagte sie eben, »machen wir es doch so. Jenny stellt den Wagen am Freitagmorgen um zehn Uhr bei Ruby ab. Ich arbeite freitags nicht und hab auch nichts Besonderes vor. Passt Ihnen das?« Sie lauschte einen Moment und kicherte dann über das, was die Person am anderen Ende der Leitung sagte. »Seien Sie nicht albern,
Emma; ich freu mich drauf. Wirklich. Ja, okay. Bis dann. Tschüss.« Stillvergnügt legte sie auf und drehte sich um. Erstarrte sichtlich, als sie Sam bemerkte. Er stieß sich vom Küchentresen ab.
»Hallo.« Seine Augen glitten über ihr Gesicht. Grundgütiger, er hasste es, wenn jede Lebensfreude aus ihren Zügen wich, so wie jetzt. Nicht zu wissen, wie er mental zu ihr vordringen sollte, und das nun schon seit dreizehn langen Monate. Dreizehn Monate, siebenundzwanzig Tage und - er sah auf seine Armbanduhr - ziemlich exakt sechseinhalb Stunden. »Hast du gerade mit Emma Sands telefoniert?«
»Ja«, erwiderte Clare leicht patzig, als rechnete sie fest mit seiner Kritik. »Sie knöpft sich am Freitag Jenny Suzukis Wagen vor, und ich kümmere mich währenddessen um Gracie. Das ist ihre Tochter.«
»Ich weiß.« Sam musterte
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