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Revolution - Erzählungen

Revolution - Erzählungen

Titel: Revolution - Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Ejersbo
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meiner Taschenlampe. Nichts bewegt sich. Die Hände graben. Ahh, ein leichtes Zittern.
    »Jetzt!«, schreie ich. Shirazi brüllt: »Hau-ruck! Hau-ruck« – stoßweise, der Schutthaufen bewegt sich, ich grabe mich hinein, ich spüre einen Schuh, einen Knöchel – dieser Fuß liegt richtig. Der Junge ist so frisch in Zaire, dass er noch immer seine guten Schuhe für den Kirchgang trägt – wie an dem Tag, als er von zu Hause fortlief, um Glück und Reichtum zu finden. Ich suche im Schutt den anderen Fuß. Da – ich zerre ihn von der Wand, halte jetzt beide Beine des Jungen in den Händen, das Seil zieht ihn ebenfalls in meine Richtung. Ich krieche rückwärts, die Beine des Jungen kommen aus dem Spalt, grauschwarz vor Dreck. Ich hebe ihn in den Stollen, wische ihm den Staub aus dem Gesicht. Sämtliche Lichtkegel sind auf ihn gerichtet. Ein Auge ist offen, voller Sand, ohne Leben. Ich gebe ihm eine Ohrfeige – der Kopf zuckt spastisch. Ich beuge mich vor, halte ihm die Nase zu, beatme ihn, dass sich seine Brust hebt. Es hilft nicht. Ich schlage ihm auf die Brust, beatme ihn erneut – immer wieder.
    »Still«, sage ich. Beuge den Kopf an den Mund des Jungen und horche, aber es ist schwer, irgendetwas bei dem Geräusch des Luftschlauchs zu hören, der die Luft des Kompressors herantransportiert. Kein Herzschlag.
    » Ameshakufa «, sagt Makamba – er ist tot. Leise, missbilligende Laute der Arbeiter. »Weg von hier«, befiehlt Makamba. Die anderen kriechen davon, nehmen ihre Arbeit wieder auf, füllen die Säcke, reichen sie durch den Stollen weiter, die Leiter hinauf. Shirazi entfernt das Seil um den Bauch des Jungen, rollt es zusammen. Ich bin still, halte mir selbst die Seite. Der Schmerz wird heftiger, allerdings nicht wegen des Tods des Jungen – seine Zeit war gekommen, aber um ein paar Dinge in meinem Körper steht es übel.
    »Leg den Jungen in den schlechten Tunnel«, sagt Makamba zu mir. »Ans Ende.« Er redet von einem Gang, an dem wir lange gegraben haben, ohne ein Zeichen der Ader.
    »Soll ich?«, fragt mich Shirazi und sieht mich an.
    »Nein, ich mach das schon«, sage ich und hebe den Jungen hoch. »Mach Platz.« Makamba dreht sich um, geht voran und schreit die anderen an: »Bewegt euch. Weg da!«
    Ich folge ihm gebückt und trage den Jungen auf der Schulter. Die anderen Arbeiter pressen sich in die Nischen des Stollens, damit ich mich mit dem Jungen vorbeidrücken kann. Im Licht ihrer Taschenlampen sehe ich, dass meine Hände vom Graben blutig sind. Niemand sagt etwas. Nur die Geräusche unserer Bewegung in der Dunkelheit. Das flackernde Licht der Felswände. Makamba bleibt stehen.
    »Leg ihn ans Ende.« Ich krieche in den toten Gang, lege den Jungen dorthin. Rasch durchsuche ich seine Taschen – nichts. Ziehe die Kirchenschuhe aus und stopfe sie unter mein Hemd – damit lässt sich die Liebe einer Schlange kaufen. Ich falte seine Hände über dem Bauch, damit der Junge ruhig aussieht.
    »Wenn es dich gibt«, sage ich leise in der Dunkelheit, »dann ist er jetzt einer der deinen.«
    Ich fasse mir an die Seite am Rücken, ein heftiger Schmerz, der bis zur Pumpe strahlt; so scharf, dass ich mich zusammenkrümme. Und im selben Moment ist es auch schon wieder vorbei.
    Ich krieche eilig zurück, an Makamba vorbei, dann halte ich inne und drehe mich zu ihm um.
    »Alle müssen raus sein, bevor du sprengst«, sage ich – das ist die Regel bei einem Begräbnis.
    »Ja, ja.«
    Ich gehe zurück an meine Arbeit. Makamba wird die Sprengladung am Ende des toten Gangs vorbereiten. Für ein Begräbnis wird er das billige Dynamit mit Lunte verwenden. Alle werden die Leiter hinaufgeschickt, bis auf einen, der die Lunte anzünden und wie ein Karnickel laufen muss. Wir werden auf der Erde stehen, wenn es passiert. Wir Arbeiter wünschen uns kein Begräbnis an der Erdoberfläche, denn das Grab ist nie tief genug – Hyänen, Schakale und Geier können die Verwesung einer Leiche aus weiter Entfernung riechen und betrachten ein Grab dann als ihr privates Restaurant.
    Auf dem Weg zurück frage ich die anderen Schlangen: »Kannte ihn jemand? Woher kam er? Kannte er sonst irgendjemanden in Zaire?« Aber niemand hat den toten Jungen gekannt.
    »Er ist von zu Hause weggelaufen«, erzählt eine der Schlangen.
    »Wo kam er her?« Ich weiß, dass es nichts bedeutet – mir ist es im Grunde auch egal.
    »Irgendwo aus Arusha«, meint die Schlange.
    »Sein Vater hat ihn zu sehr geschlagen«, sagt ein anderer.
    »Und jetzt hat

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