Revolverherz: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)
Schiffe angeschaut, weil das immer gut für meine Nerven ist, aber das wäre mir zu nah bei Zandvoort gewesen. Ich werde das Gefühl nicht los, dass er mir vielleicht nachgegangen ist, ich weiß, das ist schwachsinnig, aber es ist nun mal, wie es ist. Und so mache ich mich zügig auf den Weg in meine Straße und setze mich da auf eine von den Bänken, die vor jedem zweiten Haus stehen. Ich rauche in Ruhe eine Zigarette und werde langsam ruhiger, mein Puls normalisiert sich.
Ich versuche zu begreifen, was da heute Abend passiert ist. Ich war in der Wohnung eines Mannes, der zwar überaus attraktiv ist, aber offensichtlich einen an der Ratsche hat. Und der einen Jungen seinen Sohn nennt, ihn aber knallhart spüren lässt, dass es nicht so ist. Der Junge wiederum hat eine beängstigende Wirkung auf mich. Er ruft so viel Mitleid in mir hervor, und es kommt mir bizarr vor, dass ich am Freitag ausgerechnet über ihn und seine offensichtlich arme Seele gestolpert bin. Ich kenne das schon, dass ich solche Leute anziehe, dass ich einen merkwürdigen Draht zu denen habe, aber so extrem wie bei Zandvoorts Sohn hatte ich das selten oder eher: noch nie. Vielleicht liegt es daran, dass seine Mutter ihm so offensichtlich fehlt. Und meine mir mehr fehlt, als ich zugeben kann. Verdammt noch mal.
Die Atmosphäre in diesem Haus hatte was von einem Gefrierfach. Ich möchte da nie wieder hin.
Es ist gleich neun, ich mache meine Zigarette aus und gehe nach Hause. Von der Straße aus sehe ich, dass bei Klatsche Licht brennt. Sehen wir uns heute Nacht? Ja, denke ich, ja, wir sehen uns. Ich schließe die Haustür auf, laufe die Treppen hoch bis in den dritten Stock und drücke auf die Klingel. Er macht sofort auf.
»Hey, hey«, sagt er.
»Hey«, sage ich.
Er hat nur ein Unterhemd und eine Shorts an, seine Augen sehen ein bisschen verschlafen aus. Er grinst von hier bis Bagdad. Mir wird sofort warm.
»Warst du schon im Bett?«, frage ich.
»Wie du weißt, lese ich gerne mal ein gutes Buch«, sagt er.
Ich weiß, dass er das nicht tut, und lächle ihn an.
»Ich hab auf dich gewartet«, sagt er, zieht mich in die Wohnung und in seine Arme, er macht das Licht aus und küsst mich, er drückt mich gegen die Wand, seine Hände sind überall auf meinem Körper, und ich bin meine Klamotten so schnell los wie noch nie in meinem Leben.
Dienstag:
Die Pest an Bord
E r weckt mich mit einem Kuss auf die Schultern und sagt: »Brücke an Captain. Neuer Tag am Start.«
Das Licht blinzelt durch die Vorhänge. Klatsches Gesicht ist voller Zuneigung und Leichtigkeit, und seine Haare stehen in alle Richtungen vom Kopf ab. Er streichelt meine Schlüsselbeine. Hauptgewinn, denke ich. Hauptgewinn, alte Frau. Ich verliere auf der Stelle die Fassung.
»Ich muss los«, sage ich, »ich muss …«
»Schhhht«, sagt er, nimmt meinen Kopf in seine Hände und küsst mich aufs Haar. »Schhhht, Baby.«
Er hat recht. Wenn es für ihn in Ordnung ist, dass wir hier liegen und das Liebespaar spielen, ist es für mich auch in Ordnung. Er steht gemächlich auf, er zieht vorsichtig die Vorhänge zur Seite, um den Himmel ins Zimmer zu lassen, er geht in die Küche und macht Kaffee, und ich beobachte die Möwen vor dem Fenster. Ich kann hören, wie er mit seinem Espressokännchen hantiert, und ich muss grinsen, ich weiß, wie alt und sparkig die kleine Maschine ist und wie gut der Kaffee trotzdem schmecken wird. Mir war nicht klar, wie schön es sein kann, wenn jemand morgens in seiner Wohnung ein warmes Getränk zubereitet, wie viel Geborgenheit und Heimat das ausstrahlt.
Als Klatsche zurückkommt, hat er zwei Biergläser mit dampfendem Milchkaffee in der Hand. Auf den Biergläsern steht Astra. Das ist unser Lieblingsbier. Es ist eine beknackte Form von Romantik, dass er genau diese Gläser benutzt, um uns Kaffee zu machen, aber es ist eine. Er gibt mir eins der beiden Gläser, kriecht zu mir unter die Decke und setzt sich neben mich. Ich lehne mich an ihn und trinke, und in dem Augenblick, in dem der Kaffee in meinem Magen ankommt, werfe ich mit einer verwegenen Geste meine Vorsicht endgültig zum Fenster raus. Es ist nun mal, wie es ist. Gegen manche Dinge kann man sich nur sehr schlecht wehren.
Ich habe mich mit dem Faller und dem Beschattungsteam im Präsidium verabredet. Auf dem Weg dorthin rufe ich den Schulle an.
»Chef?«, sagt er.
»Moin«, sage ich, »sind Sie schon im Präsidium?«
»Selbstverständlich«, sagt er.
»Können Sie mir bitte schnell
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