Ringwelt 06: Flatlander
Flatlander-Berühmtheit, die auf dem Mark-29-Shreveschild durch die Gegend fährt? Sie würden Ihr Totengrinsen auf allen Fernsehern im Sonnensystem wiederfinden! Soll ich vielleicht die erste Fahrt übernehmen?«
»Nein, ich möchte einen Blick auf die unberührte Szenerie werfen und mich nicht von Ihren Reifenabdrücken irritieren lassen.« Ich stieg auf den Mark 29, bevor sie Einwände erheben konnte.
Sie machte keine Anstalten, mich daran zu hindern. »Überprüfen Sie den Empfang«, sagte ich.
Mit einem einzigen, graziösen Satz war sie an Bord des Lemmys zurück und stellte die Frequenz meiner Helmkamera ein. »Sie sind auf Empfang, klar und deutlich … huch! Das Bild ist ein wenig verwackelt. Aber es reicht trotzdem.«
»Behalten Sie mich im Auge. Sie sagen mir, wie ich fahren muß.« Ich setzte den Mark 29 in Bewegung und rollte auf den Kraterwall zu.
Hecates Anruf hatte mich aus dem tiefsten Schlaf gerissen. Auf dem Mond haben sie überall die gleiche Zeit, und so mußte es auch für Hecate Bauer-Stanson mitten in der Nacht gewesen sein.
Also gut, meinetwegen. Ausnahmsweise verblieb noch genügend Zeit, mir den Luxus einer Dusche und eines raschen Frühstücks zu gönnen, während Hecate landete und Treibstoff nachtankte. Es hatte ganz und gar nicht danach geklungen, als machte der Eindringling in den Del Rey sofortige Maßnahmen notwendig.
Während des Fluges hatte ich Gelegenheit erhalten, mich über den Del-Rey-Krater kundig zu machen.
Kurz vor der Jahrtausendwende hatten Boeing und später auch andere Fluggesellschaften Marktumfragen gestartet. Welche Sorte Kundschaft würde wie viel für den Zugang zum Orbit bezahlen?
Die Antworten, die man erhielt, hingen sehr stark von den Kosten des Starts ab. Vor hundertdreißig Jahren hatten sich diese Kosten noch im Bereich reinster Fantasie bewegt. Die Raumschiffe der NASA, getragen von der Politik, hatten bei jedem Start sechstausend Dollar und mehr pro transportiertem Kilo verbraucht. Bei diesen Preisen fand sich überhaupt keine Kundschaft: Niemand wollte ohne staatliche Subvention in den Weltraum fliegen, und niemand tat es.
Als die Kosten bei zweihundert Dollar pro Pfund angelangt waren – damals gerade eben möglich – konnte das Netz bereits Gladiatorenwettbewerbe im Orbit finanzieren.
Gemäßigte Preise ermöglichten Orbitalwaffensysteme, Solarenergie aus dem Orbit, Spitzentourismus, die Entsorgung giftiger oder gefährlicher Abfälle, Weltraumbegräbnisse und so weiter und so fort.
Begräbnisse. Für fünfhundert Dollar pro Pfund konnte man eine Urne voller Asche in einem gefrorenen Eisblock ins All schießen lassen, wo die Sonnenwinde die sterblichen Überreste zwischen den Sternen verteilten. Damals starteten die Urnen von Florida aus. Die Lobby der Bestattungsunternehmer Floridas mußte den Staat damals besessen haben. Die Regierung erließ ein neues Gesetz: Niemand durfte eine Grabstätte benutzen, die nicht von den trauernden Hinterbliebenen besucht werden konnte … und zwar über eine gepflasterte Straße.
Boeing stellte auch wirtschaftliche Überlegungen an, radioaktive Abfälle aus Kernkraftwerken in den Weltraum zu schießen.
Man konnte sie selbstverständlich nicht ohne weiteres einfach abfeuern. Zuerst mußte man unverbrauchtes Uran/Plutonium aus den Brennelementen extrahieren. Es konnte schließlich wiederverwendet werden. Als nächstes entnahm man die schwach radioaktiven Elemente und goß sie in Beton. Die wirklich verseuchten Überreste schließlich, etwas über drei Prozent der gesamten Masse, wurden so sicher eingepackt, daß sie einen unerwarteten Wiedereintritt überstehen konnten. Anschließend bombardierte man damit einen Krater auf dem Mond.
Über die darauf folgenden Jahrzehnte hatte sich die Kraftwerkstechnologie immer mehr verbessert. Unsere Vorfahren hatten das vorausgesehen. Sie wußten, eines Tages würde der gefährliche Abfall erneut als Brennstoff Verwendung finden. Und zukünftige Unternehmer würden wissen wollen, wo sie ihn finden konnten.
Boeing hatte schließlich den Del-Rey-Krater mit größter Sorgfalt für das Vorhaben ausgewählt.
Der Del-Rey-Krater war zwar klein, aber ziemlich tief, und er befand sich am Rand der Mondseite, die der Erde zugewandt war. Meteoriten mit einer Masse von 1,1 Tonnen krachten mit zweihundert Stundenkilometern in den Krater, und dabei wirbelten sie massive Staubfahnen in die Höhe. Man konnte sie mit jedem Amateurteleskop von der Erde aus entdecken. Das
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