Ringwelt 06: Flatlander
ich zur Arbeit kam, warst du nicht da, und ich fragte mich warum – und Peng! Es war schlimm, nicht wahr?«
»Ziemlich, ja«, gestand ich.
»Ich habe noch nie jemanden erlebt, der sich so sehr gefürchtet hat.«
»Schön, aber das bleibt bitte unter uns, ja?« Ich betätigte den Schalter, der mich im Bett in eine sitzende Position brachte. »Schließlich habe ich einen Ruf zu verlieren.«
Mein Auge und die Augenhöhle ringsum waren bandagiert und fühlten sich taub an. Ich spürte keinen Schmerz, doch die Taubheit war störend, aufdringlich: Erinnerung an zwei tote Männer, die Teil von mir geworden waren. Ein Arm, ein Auge.
Falls Julie diese Empfindung nachvollzog, dann wunderte es mich nicht, daß sie nervös reagierte. Sie rutschte unruhig am Fußende meines Bettes hin und her.
»Ich habe mich immer und immer wieder gefragt, wie spät es war. Wie spät war es, Julie?«
»Zehn nach neun.« Julie erschauerte. »Ich dachte, ich würde ohnmächtig, als dieser … dieser widerliche kleine Mann mit seinem Nadler durch die Tür schielte … Nein, Gil, nicht! Es ist vorbei! Hörst du? Vorbei!«
So eng war es gewesen? War es tatsächlich so eng gewesen? »Sieh mal«, sagte ich, »du gehst besser wieder zur Arbeit zurück. Ich danke dir für deinen Krankenbesuch, doch es tut uns beiden nicht gut. Wenn wir so weitermachen, enden wir beide noch in einem permanenten Angsttrauma.«
Sie nickte zittrig und stand auf.
»Danke, daß du gekommen bist«, sagte ich. »Danke, daß du mir das Leben gerettet hast.«
Julie lächelte mir von der Tür her zu. »Danke für die Orchideen.«
Ich hatte noch gar keine bestellt. Ich klingelte nach einer Schwester und redete so lange auf sie ein, bis ich die Zusage erhielt, am Abend nach dem Essen entlassen zu werden – vorausgesetzt, ich begab mich auf schnellstem Weg nach Hause und in mein Bett. Sie brachte mir ein Telefon, und ich bestellte Julies Orchideen.
Hinterher senkte ich das Rückenteil meines Bettes und lag eine Weile einfach nur da. Ich genoß das Gefühl, am Leben zu sein. Versprechen kamen mir in den Sinn. Versprechen, die ich abgegeben hatte und um ein Haar niemals hätte erfüllen können. Vielleicht war es an der Zeit, wenigstens ein paar davon einzulösen.
Ich rief bei der Überwachungsabteilung an und hatte Jackson Bera am Apparat. Nachdem ich mir von ihm die Geschichte meiner Heldentaten aus der Nase hatte ziehen lassen, lud ich ihn auf einen Drink zu mir in die Krankenstation ein. Er sollte die Flasche mitbringen, und ich würde zahlen. Das mit dem Bezahlen gefiel ihm nicht besonders, doch nach ein paar Drohungen nahm er an.
Ich hatte Taffys Telefonnummer zur Hälfte gewählt – wie schon einmal, am Abend zuvor – und wiederum legte ich den Hörer zurück. Mein Handy lag auf dem Nachttisch. Keine Bildübertragung. »Hallo?«
»Taffy? Ich bin es, Gil. Kannst du ein Wochenende frei nehmen?«
»Sicher? Ab Freitag?«
»Gut.«
»Komm mich um zehn Uhr abholen. Hast du herausgefunden, was mit deinem Freund passiert ist?«
»Ja. Ich hatte recht. Er wurde von Organpaschern getötet. Es ist vorbei; wir haben den Verantwortlichen gefaßt.« Ich erwähnte mein Auge mit keinem Wort. Bis Freitag würde der Verband längst wieder abgenommen sein. »Unser Wochenende, Taffy. Hast du Lust, ins Death Valley zu fahren?«
»Soll das ein Scherz sein?«
»Nein. Es ist mein voller Ernst. Hör mal …«
»Aber es ist heiß dort! Es ist trocken! Es ist so tot wie auf dem Mond! Du meinst wirklich das Death Valley, oder?«
»Diesen Monat nicht, Taffy. Nicht heiß, nicht trocken, nicht tot. Hör zu …« Und sie hörte mir zu. Sie hörte mir lange genug zu, um sich überzeugen zu lassen.
»Ich habe nachgedacht«, sagte sie schließlich. »Wenn wir uns schon häufiger sehen, dann sollten wir vielleicht eine … eine Abmachung treffen, ja? Kein Wort über die Arbeit. In Ordnung?«
»Gute Idee.«
»Weißt du, ich arbeite nämlich in einem Hospital«, erklärte sie. »Ich bin Chirurgin. Für mich sind Transplantate die Werkzeuge, mit denen ich tagtäglich arbeite. Ich habe lange gebraucht, bis ich meine Arbeit in diesem Licht sehen konnte. Ich will weder wissen, woher die Transplantate stammen, noch möchte ich etwas über Organpascher hören.«
»Abgemacht. Ich sehe dich dann am Freitag, zehn Uhr.«
Eine Ärztin, dachte ich hinterher. Nun, das Wochenende würde angenehm werden. Ich mochte es, wenn Menschen es verstanden, mich zu überraschen.
Bera kam mit einer Flasche J&B
Weitere Kostenlose Bücher