Ringwelt 12: Weltenwandler
sie ihn an.
Er deutete auf einen freien Sitz. »Wie Sie mögen.«
Sie nahm Platz. »Ich heiße Pamela«, begann sie. »Einem Wunderländer bin ich noch nie begegnet.«
»Sigmund.« Er strich sich über den Bart, den er sich während der Fahrt hatte wachsen lassen. Dieser Bart sagte mehr über ihn aus als nur, von welcher Welt er stammte: Er ließ auch Rückschlüsse darauf zu, in welcher Phase seines Lebens er sich gerade befand. Am auffälligsten war ein eingewachster, langer Haarstachel an der rechten Seite des Kinns; die restlichen Barthaare trug er äußerst kurz geschoren. Den zugehörigen Schnurrbart hatte er schneeweiß gefärbt, sodass er einen perfekten Kontrast zu seinem schwarzen Anzug darstellte. »Ach, der Bart. Ja, das ist ’ne lustige Geschichte.«
Und auch ein lustiger Stil. Der einzige ›Wert‹, den dieser Bart in Wirklichkeit hatte, war die Tatsache, dass man geradezu absurd lange dafür brauchte, ihm genau diese Form zu verleihen. Auf Wunderland – einem von Menschen besiedelten Planeten, der Alpha Centauri A umkreiste – waren asymmetrische Bärte gerade der letzte Schrei … zumindest bei den reichen Müßiggängern. Pamela dachte wahrscheinlich, er gehöre zu den Neunzehn Familien, die damals die ersten Siedler gewesen waren – allesamt doch nur Schmarotzer!
»Würde ich mir gerne anhören.« Pamela lächelte den Kellner an, der gerade wieder vorbeikam. »Verguuz.«
›Verguuz‹ war ein typisches Wunderland-Gebräu. Sigmund hatte es probiert. Ein einziges Mal. Er erinnerte sich noch an einen Fausthieb auf den Solarplexus – gefolgt von einem leichten, minzigen Nachgeschmack.
Also wollte diese Pamela ihn hier beeindrucken.
»Eine interessante Wahl«, sagte er dann. »Das macht die Geschichte noch spaßiger.« Mehr sagte er nicht, bis ihre Bestellung eingetroffen war und Pamela einen Zug aus ihrem Trinkballon nahm. Sofort riss die Frau die Augen auf.
Sigmund reichte ihr seinen Trinkballon mit dem letzten Rest Bier. In einem einzigen, fast krampfartigen Zug leerte Pamela das Gefäß. »Ich stamme von der Erde«, erklärte Sigmund dann. »Mir hat einfach nur dieses exotische Aussehen gefallen. Wunderland ist die letzte Station meiner großen Rundreise. ›Andere Länder, andere Sitten‹ und so, Sie verstehen schon.« Jinx war weder die erste noch die letzte Station auf Sigmunds Route, weder der kürzeste noch der längste Aufenthalt – auf diese Weise konnte er besser verbergen, was ihn eigentlich interessierte. Jetzt signalisierte er dem Kellner, noch zwei weitere Bier zu bringen.
»Das ist wirklich lustig.« Pamela hustete immer noch, Tränen rollten ihr über die Wangen. »Zwei Flatlander. Aber der Bart gefällt mir trotzdem.«
Die einfachsten Verkleidungen sind immer noch die besten, dachte Sigmund. In allen Bereichen des von Menschen besiedelten Raumes verabscheuten die meisten Leute die Aristokraten von Wunderland. In deren Heimat mühten sich Revolutionäre darum, sie endlich zu stürzen. Nur ein ganz offensichtlicher Trottel würde auf seinen Reisen versuchen, einen dieser Aristokraten nachzuäffen.
Wer käme schon auf den Gedanken, bei diesem ›Trottel‹ könne es sich um einen Agenten der ARM in geheimer Mission handeln?
Endlich blitzten Pamelas Augen wieder so keck, wie Sigmund sie vorhin empfunden hatte. Jetzt legte sie ihm vertraulich ihre warme Hand auf den Unterarm. »Sigmund, erzählen Sie mir doch von Ihrer großen Tour!«
An Bord von Raumschiffen gab es nur wenig Abwechslung. Das Trinken war an Bord von Raumschiffen sehr teuer, und die offensichtliche Alternative – zumindest für Erwachsene – war kostenlos. Sigmund konnte sich nicht vorstellen, dass er die flotte kleine Pamela mit der sportlichen Art und Weise würde vergleichen können, mit der sich Feather von ihm verabschiedet hatte – und auch nicht, dass Feather von ihm erwartete, sich hier zurückzuhalten. »Hier ist es so beengt. Vielleicht sollten wir uns …«
Pamelas Blick ging jetzt an Sigmund vorbei. In der ganzen Lounge war es plötzlich ungewohnt still geworden. Als Sigmund einen Blick über die Schulter warf, sah er, dass der Captain des Schiffes sich seinem Tisch näherte. Das obligatorische Dinner am Tisch des Captains hatte Sigmund bereits miterleben dürfen. Es fiel ihm sehr schwer zu glauben, dass der freundliche Gastgeber, der sich so nett mit den Gästen erster Klasse unterhalten hatte, und dieser Mann, der jetzt mit grimmiger Miene auf ihn zukam, ein und dieselbe Person sein
Weitere Kostenlose Bücher