Riskante Versuchung
Verbrechensanalyse des FBIs in Quantico, Virginia. Wissen Sie, um was es sich dabei handelt, Miss Baxter?“
Jess verneinte.
Der ernst dreinblickende Mann trug seinen Anzug mit einer Selbstverständlichkeit, die ihm als Barkeeper völlig gefehlt hatte. Ganz offensichtlich schien er sich mit ordentlich gekämmten Haaren und rasiertem Gesicht auch wohler zu fühlen. In seiner Verkleidung wäre Jess niemals darauf gekommen, dass er beim FBI arbeitete. Jetzt hingegen schien es das Selbstverständlichste der Welt zu sein. Aber was wollte das FBI von ihr?
„Dürfen wir Platz nehmen?“, fragte er.
Sie nickte, und Parker Elliot setzte sich auf die Kante ihres durchgesessenen Sofas. Jess ließ sich in den Sessel sinken. Die zwei Männer in Elliots Begleitung blieben stumm und aufmerksam neben der Tür stehen.
„Die Analyseeinheit versucht Serienmördern auf die Spur zu kommen - Männern, die nach bestimmten Mustern morden.“ Parker beobachtete Jess mit ruhigem Blick. „Miss Baxter, seit wann tragen Sie Ihr Haar in dieser Länge?“
Serienmörder? Ihre Haare? Jess sah ihn perplex an. „Was hat das denn mit …“
„Einige der Fragen, die ich Ihnen zu stellen beabsichtige, werden Ihnen sicher seltsam und verwirrend vorkommen“, räumte Elliot ein und schaute sich erneut in ihrem Wohnzimmer um. „Bitte tun Sie Ihr Bestes, sie zu beantworten.“
Jess war überzeugt davon, dass diesem Mann nichts entging - weder die durchgesessene Couch noch der Fleck auf dem Teppich, wo Kelsey ein Tintenfass verschüttet hatte, als sie drei war. Auch nicht die Tatsache, dass ihre Fernsehzeitschrift schon vier Wochen alt war. Wahrscheinlich konnte er anhand des Geruchs der Aschereste in ihrem Kamin sogar sagen, dass der zuletzt Weihnachten 1990 gebrannt hatte.
„Wir sind hier, weil eine Reihe von Details Sie anscheinend mit dem, was wir vom Serienmörder - und den Opfern - wissen, in Verbindung bringt“, erläuterte Elliot.
Jess kniff die Augen zusammen. „Wie bitte?“
„Sie wohnen in der gleichen Stadt wie viele der Opfer“, fuhr Elliot fort. „Außerdem entsprechen Sie nahezu exakt der Beschreibung der Ermordeten. Der Grund unseres Besuchs hat jedoch mit Ihren Auftritten im Pelican Club zu tun. Drei der Opfer haben diese Bar nämlich regelmäßig frequentiert.“
Jess war geschockt. „Sie glauben doch nicht, ich …“
„Nein, Ma‘am“, unterbrach Elliot sie rasch. „Sie sind keine Verdächtige in dieser Ermittlung. Der Mörder ist eindeutig männlich. Jeder der Morde ging mit einem Sexualverbrechen einher. Vergewaltigung.“ Er machte eine Pause und musterte sie eingehend, als wollte er sich alle Einzelheiten genau einprägen, so wie er es schon mit dem Zimmer gemacht hatte. Jess trug eine Jeans, die ein bisschen zu groß war. Ihr T-Shirt war mit einem dezenten Blumenmuster bedruckt und hatte einen weiten Rundhalsausschnitt, der ihr schon ein Stückchen von der Schulter gerutscht war, sodass ihr BH-Träger zum Vorschein kam. Dieser war grün. Jess war überzeugt davon, dass ihr grüner BH in einem offiziellen FBI-Bericht Erwähnung finden würde. Nervös zupfte sie ihr T-Shirt zurecht.
„Wir haben Grund zu der Annahme, dass es sich bei dem Killer um jemanden handelt, den Sie kennen“, eröffnete Elliot ihr. „Möglicherweise sogar sehr gut.“
Fassungslos schüttelte Jess den Kopf. Die Kehle war ihr wie zugeschnürt. Jemand, den sie kannte? Wie konnte dieser grausame Mensch jemand sein, den sie kannte? Sicher, sie hatte sich so ihre Gedanken über Rob und sogar über Ian gemacht. Ihr Ex belästigte sie in letzter Zeit zunehmend. Aber ernsthaft in Betracht gezogen hatte sie es nicht, dass einer der beiden ein Mörder sein könnte. „Das ist doch lächerlich. Ich kenne keine Serienkiller.“
„Sie würden nicht erkennen, dass er ein Mörder ist“, sagte Elliot. „Es sei denn, Sie wüssten, worauf Sie achten müssen.“
„Blutige Handschuhe unter dem Bett?“, erwiderte Jess ungläubig. „Eine Sammlung abgetrennter Körperteile der Opfer in seiner Tiefkühltruhe?“
Elliot sah zu seinen zwei stummen Partnern. „Ich weiß, wie beunruhigend das alles für Sie sein muss, Miss Baxter“, sagte er. „Und ja, es stimmt, Serienkiller sind bekannt dafür … äh, Souvenirs von ihren Opfern zu behalten. Aber der Sarasota-Serienkiller hat diese Angewohnheit nicht.“ Er lehnte sich nach vorn, die Ellbogen auf die Knie gestützt. „Er dürfte sehr normal wirken. Durchschnittlich. Nur bei näherem Kontakt
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