Riskante Versuchung
Scheidung.“
Dr. Haverstein nickte. „Aha.“ Sie nahm einen großen Schluck von ihrem Kaffee. „Einer der Gründe, warum ich hier bin, Kindchen, ist, dass wir wissen, wie schwer es Ihnen fällt, zu glauben, der Serienmörder könne einer von Ihren Freunden sein.“
„Da haben Sie allerdings recht“, sagte Jess und verschränkte die Arme. „Es fällt mir nicht nur schwer, ich glaube es einfach nicht.“
Die Ärztin nickte erneut. „Ich werde Ihnen einen Mann beschreiben, den ich einmal kennengelernt habe. Er war gut aussehend, stark, gepflegt. Er kleidete sich gut, hatte einen Job und arbeitete ehrenamtlich für die Gemeinde. Menschen, die ihn kannten, beschrieben ihn als freundlich und still. Was sie nicht über ihn wussten, war, dass er alle zwei oder drei Wochen einer jungen Frau folgte, sie umgarnte und mit ihr an einen abgelegenen Ort fuhr, wo er sie vergewaltigte und umbrachte.“ Selma trank noch einen Schluck Kaffee. „Manchmal brachte er sein Opfer erst um und hatte anschließend Sex mit der Leiche.“
Angewidert schloss Jess die Augen.
„Ich möchte heute Nachmittag mit Ihnen über Ihren Freund Rob sprechen“, fuhr Selma fort.
Nein. Nicht Rob. Jess‘ Herz pochte, und sie fing an zu schwitzen. Trotzdem zwang sie sich, ganz ruhig zu sprechen. „Rob ist kein Mörder. Nicht Rob.“
Selma runzelte die Stirn und nahm eine Mappe aus ihrem Aktenkoffer. „Das hat die Freundin dieses anderen Mannes auch gesagt: ‚Nicht George.‘ Ich habe ihn im Todestrakt kennengelernt, hier in Florida. Er gestand unzählige Morde. Vielleicht haben Sie von ihm gehört - George Franklin? Auch bekannt als der Ocala-Killer?“
„Natürlich habe ich von ihm gehört“, sagte Jess. „Aber …“
Selma schlug die Akte auf. „Auf Ihren Freund Rob passt die Beschreibung des Sarasota-Killers perfekt. Er hat das richtige Alter, stammt aus der entsprechenden Schicht. Er verhält sich unauffällig, und laut Aussage Ihrer Nachbarn lebt er schon seit mindestens sechs Monaten in der Gegend, auch wenn er erst seit einigen Wochen Ihr Mieter ist. Er wurde mehrfach bei Ihren Auftritten gesehen …“ Selma machte eine Pause und blätterte in ihren Unterlagen. Als sie Jess wieder ansah, lächelte sie freundlich. „Ich weiß, das ist sicher nicht leicht für Sie. Aber vielleicht können Sie noch ein paar Informationen zu unserer Akte über ihn beisteuern. Hat er jemals mit Ihnen über seine Kindheit gesprochen?“
Jess zögerte. „Seine Mutter starb, als er ungefähr sechs war. Und sein Vater war wohl nicht sehr … nett, schätze ich.“
Selma tauschte einen weiteren Blick mit Elliot, und da wurde Jess klar, dass sie ihnen weiteres Öl für ihr Feuer geliefert hatte. Dabei war sie bei ihrer Äußerung über Robs Vater bewusst vage geblieben.
Parker Elliot lehnte sich vor. „Serienmörder stammen in der Regel aus gewalttätigen Elternhäusern. Sie wuchsen auf in einer Atmosphäre aus Wut und Gewalt.“
„So viel hat Rob mir nicht über seine Kindheit erzählt“, erwiderte Jess steif.
Mein Vater war ein Ungeheuer, und sein Blut fließt durch meine Adern …
„Manchmal genügt schon Vernachlässigung für eine Fehlentwicklung …“
Wütend starrte Jess Elliot an. „Tut mir leid, aber ich glaube es einfach nicht“, schnitt sie ihm das Wort ab. „Es können unmöglich alle misshandelten oder vernachlässigten Kinder zu Serienmördern werden.“
„Wie gut“, meinte Selma ruhig, während sie sich Notizen machte. „Kommen wir zurück zu Rob. Hat er sonst noch etwas über seine Mutter erzählt? War er zornig auf sie?“
„Nein“, antwortete Jess verärgert. „Er war nicht zornig auf sie.“
Dr. Haverstein sah von ihren Notizen auf. „Ich weiß, und es tut mir leid. Ich mag es nicht, solche Fragen zu stellen. Da bekomme ich immer das Gefühl, ich sei die Karikatur einer Psychologin. Sie wissen schon, all diese Fragen über die Mutter.“ Sie lächelte selbstironisch. „Aber diese Antworten sind nun einmal wichtig für uns. Denken Sie also gut nach. Wenn Sie sich sogar Wort für Wort an das erinnern können, was er gesagt hat, wäre das noch besser.“
„Er hat gesagt, er habe seine Mutter mehr geliebt als irgendwen oder irgendwas. Was genau, weiß ich nicht mehr. Der Wortlaut ist mir entfallen. Er sagte …“ Jess senkte den Blick auf ihre Hände.
„Nur weiter“, drängte Selma sie. „Jess, Sie verraten ihn nicht, indem Sie uns das alles erzählen. Im Gegenteil, Sie helfen ihm. Wenn er der Mörder ist,
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