Rivalen der Liebe
wischte sich mit einer wütenden Handbewegung eine nasse Haarsträhne aus dem Gesicht.
Roxbury wies sie lieber nicht darauf hin, dass es unmöglich war, von England nach Frankreich zu laufen und überlegte stattdessen, was er jetzt tun sollte. Er verstand sie wirklich nicht – weshalb stieg sie nicht zu ihm in die Kutsche, bevor sie sich den Tod holte dort draußen im Regen? Endlich ging ihm auf, welchen Denkfehler er beging: Er hatte versucht, einer Frau gegenüber logisch und vernünftig zu argumentieren. Simon schmunzelte. Julianna hingegen funkelte ihn nur wütend an und stürmte weiter.
Roxbury wies seinen Kutscher an, stehen zu bleiben. Er ignorierte die Rufe und das Protestgeschrei der anderen Kutscher hinter ihm. Dann öffnete er den Schlag und trat in den Regen. Julianna beschleunigte ihre Schritte, und er setzte ihr eilig nach.
Bei der ersten sich bietenden Gelegenheit, die sogar recht schnell kam, hob er Lady Somerset einfach hoch und trug sie wie eine Prinzessin auf den Armen.
»Was tut Ihr da? Lasst mich sofort runter!«, protestierte Julianna. Sie schien vollkommen schockiert.
»Ich rette Euch, Mylady«, antwortete er höflich.
»Hilfe! Jemand muss mir helfen!«, brüllte sie, so laut sie konnte, in den Regen.
Simon hatte in diesem Moment wirklich Mitleid mit ihr. Aber was er tat, war doch nur zu ihrem Besten! Vielleicht sogar zu ihrer beider Bestem …
»Nur ein Streit unter Liebenden«, erklärte er ein paar Umstehenden, die neugierig in ihre Richtung schauten. Diese Antwort schien die Passanten zu befriedigen, was Roxbury, wenn er ehrlich war, ein wenig befremdete – und bestätigte: Hatte er nicht immer gesagt, dass sie lieber nicht allein in Londons Straßen unterwegs sein sollte? Was sie überhaupt dazu getrieben hatte, bei diesem Wetter ihr Zuhause zu verlassen, konnte er nur mutmaßen. Er hatte jedenfalls den Eindruck, dass ihr gerade kürzlich etwas Schreckliches zugestoßen sein musste.
Lady Somerset leistete nämlich bei Weitem nicht so viel Widerstand, wie er erst vermutet hatte. Das interpretierte er zu seinen Gunsten; sie hatte wohl nichts gegen die Fahrt in einer warmen, gemütlichen Kutsche, doch ihr Stolz hatte es nicht zugelassen, sein Angebot einfach anzunehmen.
Sobald sie sicher in der Kutsche saßen, funkelte Lady Somerset ihn wütend an. Dann nahm sie die Haube ab und schob sich die feuchten Locken aus dem Gesicht.
»Sind das Regentropfen oder Tränen auf Eurem Gesicht, meine schöne Lady?«, fragte Roxbury ehrlich interessiert. Von dem Blick, den sie ihm zuwarf, wurde ihm eiskalt.
»Diese Regentropfen stammen offensichtlich von dem Regen, durch den ich gerade erst gegangen bin, bevor ich gegen meinen Willen entführt wurde, Ihr widerlicher, erbärmlicher Frechdachs«, schnaubte sie. »Und ich bin durch den Regen gelaufen, statt eine Mietdroschke zu nehmen, weil … weil …« Lady Somerset schien die Worte nicht über die Lippen zu bringen. Sie drückte die Faust gegen den Mund, als müsste sie ein Schluchzen zurückhalten oder versuchte krampfhaft, nicht zu hyperventilieren. Roxbury hielt den Atem an. Aber das konnte doch gar nicht sein! Nicht bei der respekteinflößenden, starken Lady mit Klasse!
»Was die Tränen betrifft, nun …«, fuhr sie fort, sobald sie sich wieder gefasst hatte. »Sagen wir einfach, dass das alles verdammt nochmal Eure Schuld ist, Roxbury. Im Moment hasse ich Euch aus tiefstem Herzen und voller Leidenschaft. Und ich bin auf keinen Fall Eure Lady .«
»Brandy?«, bot er ihr an.
Wortlos nahm Julianna einen kleinen, damenhaften Schluck aus der Flasche. Roxbury erinnerte sich noch gut, wie sie damals im White’s heldenhaft ihren ersten Schluck Brandy getrunken hatte. Als sie die Stärke des Alkohols in ihrer Kehle brennen fühlte, war sie versucht gewesen, ihn auszuspucken, und war ein klein wenig rot angelaufen. Jetzt trank sie Brandy, als ob es das Normalste der Welt wäre. Ob die Lady in der Zwischenzeit vielleicht heimlich geübt hatte?
Roxbury tastete unter dem Sitzpolster nach einer zweiten Flasche. Er hatte es zwar noch nicht geschafft, die Beschädigung im Familienwappen reparieren zu lassen, die er ihr zu verdanken hatte, aber er sorgte nach wie vor dafür, dass auch die Kutsche immer mit allen notwendigen Dingen bestückt war.
»Ich möchte gerne auf uns trinken!«, verkündete er großspurig, als er die Flasche öffnete. »Darauf, wie wunderbar schwer wir einander das Leben machen.«
»Ich habe nichts dergleichen getan«,
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