Romana Extra Band 1
wenn Beth nicht beschlossen hätte, nach London zu gehen? Wenn sie bei ihrer Familie geblieben wäre?
Wahrscheinlich hätte sich Lindy dann nicht so allein gefühlt und wäre nicht auf die Idee gekommen, sich zu dieser Dummheit hinreißen zu lassen . Beth spürte, wie ihr die Tränen kamen.
Rasch wandte sie den Blick ab. „Es tut mir leid“, stieß sie mit erstickter Stimme hervor. „Das sind meine Probleme, ich sollte Sie nicht damit belasten.“
Mitleid stieg in Luís auf. Es war seltsam, wie seine Emotionen verrücktspielten, sobald er sich in Beths Gesellschaft befand. Auf der Fahrt hierher hatte er sich erstaunlich gelöst und zuversichtlich gefühlt, doch beim Anblick ihrer Picknickutensilien war er in Wut geraten. Und jetzt, wo er sah, dass ihr Tränen in den Augen standen, hätte er sie am liebsten in die Arme geschlossen und getröstet.
Nur zu gut konnte er nachempfinden, wie sie sich fühlen musste. Auch er hatte sich wegen Laura Vorwürfe gemacht. Nein, im Grunde machte er sie sich sogar heute noch …
Es war verrückt, das wusste er selbst. Niemand hätte Lauras tragisches Verschwinden verhindern können. Und trotzdem … er konnte einfach nichts dagegen tun. Wahrscheinlich erging es jedem Menschen, der einen Verlust erlitten hatte, ähnlich.
Also auch Beth. Ihre Schwester war zwar nicht ums Leben gekommen, aber Lindys Behinderungen bedeuteten für Beth auch einen Verlust – den Verlust ihrer unbeschwerten, gesunden Schwester, mit der ein großer Teil ihrer eigenen Kindheit verbunden war. Zudem spürte Luís, dass noch mehr dahintersteckte.
„Sie belasten mich nicht.“ Obwohl Einfühlsamkeit nicht gerade zu seinen Stärken gehörte, gelang es ihm zu seiner eigenen Überraschung mühelos, seiner Stimme einen anteilnehmenden Klang zu verleihen. „Sie sollten sich nicht so viele Vorwürfe machen. Sie tragen bestimmt keine Schuld am Schicksal Ihrer Schwester. Ob Sie nun bei ihr waren oder nicht, spielt keine Rolle. Schließlich ist es nicht Ihre Pflicht, Ihr Leben lang auf sie aufzupassen. Jeder von uns muss seinen eigenen Weg gehen.“
Das Wissen darum, wie es in Beth aussah, weckte abermals den Wunsch in ihm, sie zu trösten. Er wollte sie in seine Arme schließen, sie halten und …
„Es ist nett, dass Sie das sagen, Luís.“ Ihre Worte rissen ihn aus seinen Gedanken. „Und im Grunde weiß ich, dass Sie recht haben. Aber Gefühle sprechen eben manchmal eine andere Sprache als der Verstand …“
Wer wusste das besser als er? „Schauen Sie, dort hinten“, sagte er deshalb und deutete zu der von Wind und Wetter zerklüfteten Felswand. „Auf diesen Vorsprüngen brüten seltene Vögel. Und die Bucht bietet auch anderen, teils sehr seltenen Tieren und Pflanzen eine Heimat.“ Er hielt kurz inne und sah Beth fragend an. „Was soll Ihrer Meinung nach mit ihnen passieren, wenn ich mich dazu entschließe, das Grundstück an Ihren Boss zu verkaufen?“
Beth musterte ihn aufmerksam. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass es einfach werden würde. Luís waren schon viele Kaufangebote unterbreitet worden und er hatte sie allesamt abgelehnt. Nun war ihr auch klar, warum.
Er liebte dieses Stück Land.
Cala de Laura war nicht irgendeine beliebige Bucht für ihn. Nein, seine Beziehung zu dem felsigen Küstenstreifen ging tiefer, sehr viel tiefer. Und auch wenn sie nicht wusste, was der Grund dafür war – sie konnte ihn verstehen.
Auf dem Flug von London nach Palma hatte sie sich auf das Verhandlungsgespräch mit Luís vorbereitet, Statistiken über Wertentwicklungen studiert und sich über die aktuelle Lage auf dem mallorquinischen Immobilienmarkt informiert. Doch nichts von alledem hatte sie darauf vorbereitet, wie es sein würde, mit eigenen Augen zu sehen, was Lyle und sie im Auftrag irgendeines ominösen Investors zu zerstören im Begriff standen. Dieses unberührte Stück Natur würde nie mehr dasselbe sein, wenn Luís verkaufte. Und Beth spürte, dass mehr hinter seinem Engagement steckte als nur die Sorge um den Schutz eines wildromantischen Landstrichs. Auch wenn Luís es nicht zugeben wollte, sicher hatte es etwas mit seiner Schwester zu tun.
„Wir werden eine Lösung finden, mit der alle Beteiligten leben können“, sagte sie, doch sie hörte selbst, wie lahm ihre Versicherung klang.
Luís lächelte. „Ach ja? Und was schlagen Sie vor?“
„Nun, wir … wir setzen einfach einen Vertrag auf, in dem Ihre Wünsche in Bezug auf Cala de Laura aufgenommen werden. Wir könnten alles
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