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Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)

Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)

Titel: Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Kirk
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Flasche über den Hinterkopf zu ziehen, hielt sich dann aber zurück. Sie war eine Favoritin seines Vaters, und wenn sie mit Tonscherben im Schädel bei ihm erschien, würde der alte Lustmolch Fragen stellen.
    Auch sie war bloß ein gemalter Kranich. Der junge Fürst ließ sie mit einem angewiderten Grunzen gehen, und sie huschte mit der anderen Dienerin rückwärts den Flur hinab, sich verneigend und entschuldigend, bis sie außer Sicht verschwand.
    Eigentlich war er nicht wegen ihr wütend, das wusste Hayato, und auch nicht wegen des Kicherns irgendwelcher Schwachköpfe, deren Lebenszweck ausschließlich darin bestand, ihn durch die Gegend zu tragen. Man konnte ja schließlich Krähen nicht dafür bestrafen, dass sie Aas fraßen. Sie alle hatten nur gelacht. Nicht sie waren es gewesen, die ihn vor seinem Vater beleidigt und herabgesetzt hatten. Sie hatten ihn nicht um ein eigenes Gut gebracht, ihn nicht dazu verurteilt, hier auszuharren.
    Nein, das war jemand anderes gewesen.
    Jemand, der seiner Wut würdig war.
    Er schwelgte noch kurz in seiner Großherzigkeit, dann machte sich der junge Fürst Nakata daran, einen Plan auszuhecken. Plötzlich hatte er ein Ziel vor Augen.
    * * *
    Eine ganze Woche war vergangen, und Bennosuke hatte immer noch nicht den Mut aufgebracht, mit Munisai zu sprechen. Vielmehr hielten sein Vater und er auf seltsame, unausgesprochene Weise Distanz zueinander. In dem kleinen Dorf konnte man sich natürlich nicht gänzlich aus dem Weg gehen, und so bemerkte der Junge manchmal, dass Munisai ihn aus der Ferne ansah. Kurz begegneten sich ihre Blicke, und Bennosuke errötete, verneigte sich und zog von dannen. Munisai ging ihm nie hinterher.
    Der Junge aber folgte seinem Vater. In jeder freien Minute zog es ihn zu dem Kamm mit Blick hinab in das landeinwärts gelegene Tal, um zu sehen, ob Munisai wieder dort unten bei den Ruinen weilte. Und tatsächlich entdeckte er ihn oft dort. Bennosuke stellte sich vor, wie er in schweigender Kontemplation neben dem Mann saß und dass dadurch irgendwie alles besser würde. Es war ein dummer Tagtraum mit einem Anfang und einem Ende, aber ohne Mittelteil. Dieser Mittelteil enthielt das, was er erfahren musste, und das Unwissen nagte an ihm, wann immer er daran dachte.

    Eines Nachmittags hing Bennosuke im Dojo gerade Tasumi auf dem Rücken, einen Arm um dessen Hals und die Beine um die Taille geschlungen, und versuchte, ihn niederzuringen. Es war ein aussichtsloses Unterfangen, denn Tasumi war so stark, dass er den Jungen mit Leichtigkeit trug, aber Bennosuke klammerte sich dennoch wie ein Affe an ihn. Tasumi bemerkte als Erster, wie lächerlich sie aussehen mussten. Er fing an zu lachen und steckte Bennosuke damit an, und schließlich rangen die beiden kichernd miteinander. Doch keiner gab nach.
    Bis sie eine kühle Stimme innehalten ließ: «Du solltest im Kampf niemals beide Füße zugleich vom Boden heben.»
    Es war Munisai, der sprach.
    Er stand vor dem Eingang und sah durch die breite, tagsüber meist offene Tür herein. Ohne seine Armschlinge hätte er das Musterbild eines Samurai abgegeben: strenge Miene unter rasiertem Schädel, schmale Schultern und ein fester, runder Bauch, perfekt für eine stabile Balance, an der Flanke die beiden gebieterisch hervorragenden Schwerter. Nachdem Bennosuke sich verlegen vom Rücken seines Onkels gelöst hatte, verneigten sich die beiden zur Begrüßung.
    «Dein Onkel ist nett zu dir», fuhr Munisai fort und erwiderte ihren Gruß mit einer schnellen Kinnbewegung. «In einem echten Kampf hätte er sich mit seinem ganzen Gewicht auf den Rücken geworfen, auf deinen Brustkorb, und was hättest du tun können, um ihn daran zu hindern? Nichts.»
    «Wir üben doch nur, Bruder», sagte Tasumi vorsichtig, denn er war zwar durch seine Heirat verpflichtet, ihn vertraulich «Bruder» zu nennen, aber Munisai stand nichtsdestotrotz über ihm. «Da muss man nicht jedes Mal aufs Ganze gehen.»
    «Wohl wahr», erwiderte Munisai, sah dabei aber nur Bennosuke an. «Würdest du mich bitte mit deinem Schüler allein lassen?»
    «Wie du wünschst», antwortete Tasumi und verneigte sich noch zweimal, bevor er ging. Noch nie hatte Bennosuke seinen Onkel so ehrerbietig erlebt.
    Dann standen sich nur noch der Junge und sein Vater gegenüber.
    Der Mann sah ihn nur an, begutachtete ihn, viel genauer als bei ihrer ersten Begegnung. Die Augen des Samurai folgten sämtlichen Zügen seines Gesichts. Er fühlte sich nackt – nackter als neulich im

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