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Rost

Titel: Rost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Meyer
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gründlich aus seinen
Gedanken – ja, der Junge war kräftig in Fahrt gekommen, doch jetzt lief er
offenkundig aus dem Ruder. Ihm tat Grace leid, das war alles.
    Warum also kamen seine Kopfschmerzen zurück? In achtzehn Monaten
konnte er in Pension gehen, das hatte er auch immer angenommen, doch je näher
dieser Zeitpunkt rückte, desto weniger war er sich sicher, wie er dazu stand,
er kam gern jeden Tag zur Arbeit, und er mochte seinen Job. Noch ein, zwei
freie Tage mehr pro Woche, das wär nett, doch sieben freie Tage konnten tödlich
sein – er konnte nicht die ganze Zeit mit Jagen zubringen. Auf einmal sah er,
was für einen Riesenfehler er gemacht hatte, in die Hütte zu ziehen: Einmal
pensioniert, würde er vollkommen allein sein. Steve Ho und Dick Nance, und
Dolly Wagner und Sue Pearson, die im Stadtratsbüro arbeiteten, und Don Cunko,
sogar Miller und Borkowski – diese Leute kamen für ihn einer Art Familie noch
am nächsten. Alles, bis ins Letzte, sah jetzt wie ein Fehler aus. Er hatte sich
das selber angetan.
    Rasch stand er auf und ging zu seiner Tasche, wo die Xanax waren,
schüttelte sich eine in die Hand und nahm sie nicht. Er legte sie zurück und
machte schnell drei Sätze Situps und drei Sätze Liegestütze. Wenn man sich um
seinen Körper kümmerte, dann folgte auch der Geist. So hieß es. Harris stand
nicht übel da. Ganz gut sogar – genug Geld auf der hohen Kante, wie JoeLewis würde er nicht enden, der Chief von Monessen, der nach seiner
Pensionierung als Schulwächter arbeiten musste. Und, wie er sich andauernd ins
Gedächtnis rief, er machte gute Arbeit, konnte stolz auf das sein, was er tat.
Buell mochte im Tal eine der ärmsten Städte sein, zum Leben war sie immer noch
eine der besten, weil die Kids hier nicht so viel herumsprayten und weil das
Dope nicht öffentlich gedealt wurde. Verzögerungstaktik war das, nichts sonst.
Es war erst ein paar Wochen her, da hatten sie die Leiche einer jungen Frau
gefunden, die in Greene County ansässig war, ihr Körper voller Methamphetamine,
keiner wusste, was sie in Buell verloren hatte. Dieses Jahr waren in Fayette
County außerdem sechs Leichen aufgefunden worden, und bei dreien fehlte jede
Spur. Die Presse war schon dran, der neue Staatsanwalt war in der Defensive.
Und die letzten beiden fallen klar in dein Ressort, sagte er sich. Da wird er
wohl einen Volltreffer brauchen.
    Es klopfte, Harris schloss die Tür auf und erblickte Ho, der seine
dicke Wampe vor sich hertrug. Seltsam kleine Hände hatte er und kleine Füße.
Seine Eltern stammten aus Hongkong, ihnen gehörte das Chinese
Buffet in North Belle Vernon. Er trat ein, schob sich vorbei an Harris
ins Büro und schnüffelte. Als er im Aschenbecher die Zigarre fand, nahm er sie
kurzerhand und schnippte sie durchs offene Fenster raus.
    Bud Harris runzelte die Stirn. Die Zigarre hatte sieben Dollar gekostet.
    »Es ist erst zehn Uhr morgens, Scheiße«, sagte Ho.
    »Und ich bin ein erwachsener Mann.«
    Ho zuckte mit den Schultern. »Könnte sein, dass wir eine Beschwerde
kriegen«, sagte er. »Ich hatte gestern Abend einen Einsatz wegen
Lärmbelästigung, die Sparrows Point Apartments, und am Ende musste ich den
Karabiner einsetzen. Zwölf Schuss.«
    Da musste Harris blinzeln, und dann dachte er, nein, wenn es so schlimm
wäre, hätte er bereits davon gehört. So oder so, dieAblenkung war ihm
willkommen. Ein Gutteil ihrer Probleme kam aus Sparrows Point, aus den
Sozialbauwohnungen am Stadtrand.
    »Es war bloß ein Pitbull«, fuhr Ho fort. »Du kennst doch diesen kleinen
Glatzkopf mit der tätowierten Fresse? Hat mir seinen Köter auf den Hals
gehetzt, in voller Absicht, wollte wohl, dass ich aufs Dach vom Wagen hüpfe
oder was, den drolligen Chinesen mache.«
    »Gab’s noch weitere Verletzte, abgesehen von dem Hund?«
    »Um Himmels willen. Nur, du hättest mal die ganzen Wichser sehen
sollen, wie sie gleich in Deckung gingen hinter Autos und so’n Scheiß. Zu blöd,
dass ich das nicht gefilmt hab.«
    »Und was sollte das mit dem Gewehr, bei einer Lärmbelästigung?«
    »Die waren sieben oder acht. Was sollte ich denn tun, zum Henker?«
    »Weißt du, was uns die Versicherung kostet«, sagte er zu Ho.
    »Ich scheiß auf die Versicherung«, sagte Ho. »Wo bleibt die Demoralisierungstaktik?
Diese Schweine kochen hinten in den Häusern Meth auf. Eine Umweltsünde ist
das.«
    »Bloß dass sie die Bürger damit nicht belästigen«, bemerkte Harris.
»Irgendwo kriegen’s die Leute immer

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