Rot
auf einem Hügel gelegene SOR-Gelände führte. Hinter seinem Rücken im Laderaum stapelten sich zweitausend Kilo RDX-Sprengstoff, aber Brodowski war es gewöhnt, noch erheblich gefährlichere Lasten zu transportieren. Auf dem Gelände des Luftwaffenstützpunkts befand sich schließlich das größte Kernwaffenarsenal der Welt, der achtundzwanzigtausend Quadratmeter große unterirdische Lagerkomplex für Militärgüter, in dem dreitausend Sprengköpfeaufbewahrt wurden. Brodowski war nicht im geringsten erstaunt, dass man ihm befohlen hatte, die Sprengstofffracht mitten in der Nacht ins SOR zu fahren; alles, was hier passierte, wurde so geheim gehalten, dass es schon fast lächerlich war. Und bei der Air Force durfte man sich sowieso nicht über fragwürdige Befehle wundern. Das hatte er bereits als junger Spund vor zwanzig Jahren am Anfang seiner Dienstzeit bei der Army gelernt. Damals war er mit dem Kopf ins Klobecken getaucht worden und man hatte den Gefreitenbalken mit Nadeln auf seiner Haut befestigt.
Die Teleskope und Gebäude des kleinen, nur wenige Hektar großen Geländes des SOR wurden fast vollständig zerstört, als Brodowskis Lkw explodierte. Das geschah um 03:17 Uhr.
Die Explosion auf dem Luftwaffenstützpunkt Kirtland war nicht die Ursache dafür, dass die tausenden Monitore des United States Cyber Command im eintausendsechshundert Meilen entfernten Fort Meade in Maryland erloschen. Die für die Kriegsführung der USA im Datennetz sowie für die Sicherheit der Militärsatelliten und der kritischen Infrastruktur verantwortliche Kommandozentrale war handlungsunfähig.
* * *
Betha Gilmartin saß im Lagezentrum in der siebten überirdischen Etage des SIS-Hauptquartiers und rieb sich die Schläfen. Seit mehreren Tagen waren sie Mundus Novus auf der Spur, doch eben hatte man die Suche unterbrochen. Um 10:17 Uhr war die Stromversorgung des Londoner Metronetzes ausgefallen. Die vierzigköpfige Ermittlungsgruppe starrte unablässig auf den riesigen Monitor, auf dem nun der Betriebsdirektor des Verteilernetzbetreibers UK Power Network nickte, als er hörte, dass auch die Tonverbindung stand.
»Das Stromversorgungssystem der Metro ist mit dem nationalen Netz verbunden, und zwar über fünf Verteilerstellen mit132 000 Volt, eine mit 66 000 Volt und eine mit 33 000 Volt. Von da fließt der elektrische Strom über Zuleitungen in zweihundert Trafostationen. Dort wird er mit 630 Volt Wechselstromspannung in das 400 Kilometer lange Gleisnetz eingespeist und mit 400 Volt Spannung in alle hundertzweiundvierzig Stationen. Im Moment bekommen wir weder in die Züge noch in die Bahnhöfe Strom.«
»Ihr habt doch Reservesysteme für Notsituationen«, sagte der Leiter der Technischen Abteilung des SIS.
»In so einer Situation müssten wir als Ersatz Elektroenergie aus unserem Kraftwerk in Greenwich bekommen, aber auch das klappt nicht. Keiner versteht, was hier los ist. Die Reservesysteme müssten idiotensicher sein. Wir haben zweihundertfünfzig Akkustromquellen für die Beleuchtung der Bahnhöfe und die Aufrechterhaltung der wichtigsten Sicherheitssysteme, aber wir sind nicht imstande, die Reisenden aus den Zügen zu evakuieren oder die Klimaanlagen wieder in Gang zu setzen. In den Metrotunneln und auf den Bahnsteigen sitzen hunderttausende Menschen fest – schon bald wird eine Panik ausbrechen, die niemand mehr kontrollieren kann.«
»Wie zum Teufel ist das möglich?«, brüllte Betha Gilmartin, da ihr nichts Besseres einfiel.
Der Betriebsdirektor von UK Power Networks warf einen Blick zur Seite und nickte jemandem zu. »Ich muss jetzt wieder an meine Arbeit gehen. Wie ich soeben erfahren habe, ist auch das St. George’s Hospital ohne Strom.«
»Londons größtes Krankenhaus!«, entfuhr es Betha Gilmartin. »Letzte Frage: Hat jemand bei euch dort eine Ahnung, was die Ursache ist?«
»Nein«, erwiderte der Betriebsdirektor und verschwand unmittelbar darauf vom Bildschirm.
Betha Gilmartin ahnte bereits das Schlimmste. Ihre Sorgen wurden noch größer, als jemand mitteilte, es bestehe nun eine Bildverbindungzum Chef des Office of Cyber Security, das für die Sicherheit der britischen Datennetze zuständig war.
»Jetzt ist es also passiert«, sagte der Mann, dessen Glatze glänzte, mit ernster Stimme. »Ein Cyberangriff ist neben Terroranschlägen die einzige echte Bedrohung für die innere Sicherheit Großbritanniens. Ich habe die Politiker schon seit mehreren Jahren davor gewarnt, wie ihr sehr wohl wisst.
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