Rott sieht Rot
Und da ist jeder Hinweis wichtig.«
Sie nickte und tat wieder so, als hätte sie noch nie einen Kunststofffußboden gesehen.
»Wo hat sie gewohnt?« Es war eine Testfrage. Ich musste diese verstockte Person zum Reden bringen.
»Ich weiß es nicht.«
»Worüber haben Sie mit ihr gesprochen?«
Sie zuckte die Achseln. »Es ist so lange her …«
»Aber es muss doch Gespräche gegeben haben. Als Kolleginnen erzählt man sich doch etwas.«
Sie schenkte mir einen strengen Blick aus den blauen Augen. »In erster Linie arbeitet man, Herr Rott.«
»Sie hat aber nicht nur gearbeitet. Sie hat etwas gestohlen, oder nicht?«
Sie antwortete nicht.
»So was sorgt doch unter der Belegschaft für Aufsehen - könnte ich mir zumindest vorstellen. Wissen Sie, was sie beiseite geschafft hat?«
Frau Stieber nickte. »Chanel Nr. 5«, sagte sie leise.
»Wie hoch war der Schaden?«
»An die dreitausend Mark - damals.«
»Nicht wenig. Das wissen Sie aber noch ziemlich genau.«
Sie schwieg.
»Wie ist die Sache rausgekommen?«
Ich wartete, drei Sekunden, in denen sie immer noch nichts sagte. Dann kramte ich in meiner Tasche, holte meine Zigaretten hervor und steckte mir eine an. »Hier darf man nicht rauchen«, sagte Frau Stieber.
»Ist mir egal. Und nun passen Sie mal auf. Ich weiß schließlich nicht von ungefähr, was damals hier passiert ist. Ich könnte jetzt zur Polizei gehen und mir die gesamten Protokolle besorgen. Ich würde sofort alles herausbekommen. Ich müsste dafür aber ins nächste Präsidium fahren und mich darum kümmern. Das würde Zeit kosten. Zeit, die ich nicht habe. Und danach würde ich wieder hier auf der Matte stehen, denn ich möchte nur eins: Petra Ziebold finden. Es wäre also wunderbar, wenn Sie mir etwas dabei helfen würden.«
Sie schluckte und schwieg weiter, als wollte sie sich vergewissern, dass mein plötzlicher Redeschwall wirklich zu Ende war. Dann holte sie Luft und sagte: »Ich habe sie damals angezeigt.«
Ich pustete Rauch in die Luft. »Ach, sieh mal an. Da sind Sie ja genau die richtige Informantin! Und weiter?«
»Wie weiter?«
»Umstände! Nähere Infos.«
»Muss ich wieder zur Polizei?«
»Sie müssen überhaupt nicht zur Polizei«, sagte ich. »Es geht mir nicht um Sie, sondern um Ihre damalige Kollegin. Wie oft soll ich das noch sagen?«
Frau Stieber warf Svetlana einen flehenden Blick zu. »Meint er das ernst?«, fragte sie, und Svetlana nickte. Die Frau dachte noch eine Weile nach. Es war absolut still im Raum.
»Wir haben damals gemeinsame Sache gemacht. Wir haben immer wieder Parfüm und so was abgezwackt. Eines Tages kam der damalige Chef dahinter.«
»Und er hat Sie beide drangekriegt.«
Sie schüttelte den Kopf. »Er hat mich beiseite genommen und gefragt, wer es sein könnte. Ich bekam einen Riesenschreck und habe alles auf Petra geschoben.«
»Daraufhin wurde sie gekündigt und hatte ein Verfahren wegen Diebstahl am Hals.«
Sie nickte langsam.
»Hat sie nicht die Schuld auf Sie geschoben? Sie muss sich doch gewehrt haben?«
»Hat sie auch. Aber ich habe alles abgestritten.«
»Und weil Sie damals so hoch in der Gunst Ihres Chefs standen, hat man Ihnen geglaubt«, stellte ich fest.
Sie sah mich überrascht an. »Woher wissen Sie das?«
»Sonst hätte er Sie nicht als Erste ins Vertrauen gezogen, als ihm die Sache auffiel.« Innerlich formulierte ich es etwas anders. Sie war die Streberin in dem Laden gewesen und hatte ihre Komplizin ans Messer geliefert.
»Wo kam sie her? Hatte sie Verwandte? Andere Kontakte? Freunde?«
»Sie hat es nicht leicht gehabt.«
»Inwiefern?«
»Ihre Mutter war Alkoholikerin. Nach allem, was ich erfahren habe, war sie sogar eine Prostituierte. Stellen Sie sich das vor.«
»So was soll es geben. Wo wohnte ihre Mutter?«
»Petra hat nicht gern darüber gesprochen …«
»Aber vielleicht hat sie es doch einmal erwähnt.«
Sie wischte sich durch das Gesicht. Sie sah aus, als kämen ihr gleich die Tränen. Mir wurde klar, dass sie an einem schlechten Gewissen wegen Petra litt. Und dass sie die ganze Geschichte jahrelang innerlich verdrängt hatte. Bis heute.
»Sie wohnte in Wuppertal. Und jetzt, wo ich darüber nachdenke, fällt mir noch etwas ein.«
»Nämlich?«
»Petra erzählte, dass ihre Mutter mit einer anderen Frau zusammenlebte.«
»Auch eine aus dem Gewerbe?«
»Wahrscheinlich. Jedenfalls hatte die Mutter mit dieser Frau ständig Ärger. Petra behauptete, sie hätte die Diebstähle nur begangen, damit sich ihre
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