Roulette der Liebe
verwandelten sich seine entzückenden Gluckser in wütendes Geschrei.
»Ich kann ihn ja eine Weile im Zimmer herumtragen«, bot Reno an.
»Nur, wenn er in ein paar Minuten immer noch schreit«, erklärte Willow fest.
»Wie wär’s, wenn ich ihm ein Schlaflied singe?«
Willow gab lachend nach. »Nur gut, daß du bald wieder auf Goldsuche gehst. Du verziehst deinen Neffen geradezu schamlos.«
Lächelnd folgte Reno seiner Schwester ins Schlafzimmer. Wenige Augenblicke später schwebten die melodischen Klänge eines Kirchenliedes ins Zimmer, gesungen von Renos kräftigem Bariton. Willows heller, klarer Sopran stimmte gleich darauf in absoluter Harmonie mit ein.
Eve atmete tief ein, überrascht und entzückt.
»Hatte die gleiche Wirkung auf mich, als ich sie das erste Mal gehört habe«, sagte Caleb. »Ihr Bruder Rafe singt ebenfalls wie ein gefallener Engel. Die anderen drei Brüder habe ich niemals kennengelernt, aber ich stelle sie mir ähnlich vor.«
»Denken Sie nur daran, wie es wäre, neben ihnen in der Kirche zu sitzen...«
Caleb lachte. »Etwas sagt mir, daß die Moran-Jungs eher auf Raufereien aus waren, als in der Kirche zu sitzen.«
Eve lächelte geistesabwesend. Die Stimmen fesselten ihre Aufmerksamkeit. Musik war eine der wenigen Vergnügungen im Waisenhaus gewesen, und sie hatten sie unter Anleitung des anspruchsvollen und dennoch geduldigen Kirchenchorleiters der nahe gelegenen Kirche einstudiert.
Eve schloß die Augen und begann, leise vor sich hin zu summen. Sie kannte den Vers nicht, den Willow und Reno sangen, aber die Melodie war ihr vertraut. Automatisch übernahm sie die zweite Stimme, ließ ihre rauchige Altstimme mit der schlichten Harmonie verschmelzen, die Bruder und Schwester schufen.
Nach wenigen Minuten hatte die Musik Eve ganz in ihren Bann gezogen, ließ sie völlig vergessen, wo sie war. Ihre Stimme schwang sich hinauf, schwebte vibrierend über dem hellen Ton von Willows Sopran und dem tiefen Schatten von Renos Bariton, bereicherte beide wie ein Regenbogen, der sich zwischen Sonnenlicht und Sturmwolken spannt, vom strahlenden Licht menschlicher Hoffnungen erfüllt.
Eve war gar nicht bewußt, was sie tat, bis Willow und Reno plötzlich zu singen aufhörten. Sie riß erschrocken die Augen auf.
Und sah, wie Caleb, Reno und Willow sie anstarrten.
Eves Wangen färbten sich rot vor Verlegenheit.
»Entschuldigen Sie. Ich wollte Sie nicht...« »Seien Sie nicht albern«, unterbrach Willow sie. »Wo, um alles in der Welt, haben Sie diese wundervolle Harmonie gelernt?«
»Von unserem Kirchenchorleiter.«
»Könnten Sie Caleb beibringen, diese Tonfolge auf der Harmonika zu spielen?«
»Keine Zeit«, warf Reno brüsk ein. »Wir müssen heute abend an den Tagebüchern arbeiten, und sobald es morgen früh hell wird, reiten wir weiter.«
Willow blinzelte, überrascht von der Härte in der Stimme ihres Bruders. Es war ihr nicht entgangen, daß Reno sich sträubte, Eve in seine Familie mit einzubeziehen. Willow konnte sich allerdings nicht vorstellen, warum.
Der Ausdruck in Renos Augen riet ihr, lieber nicht zu fragen.
»Ich habe die Stelle gefunden, wo die beiden Tagebücher sich überschneiden«, sagte Caleb in die unbehagliche Stille hinein.
»Gut«, meinte Reno.
»Das bezweifle ich«, erwiderte Caleb.
»Warum?«
»Es bedeutet, daß du den halben Westen nach Gold absuchen mußt.«
Reno nahm den Stuhl links von Eve und setzte sich.
Eve kam sich zwischen den beiden Männern plötzlich klein und zerbrechlich vor. Da sie gut einen Meter fünfundsechzig groß war, war dieses Gefühl ungewöhnlich. Die meisten Männer, die sie kennengelernt hatte, waren kaum eine Handbreit größer als sie gewesen.
Eve versuchte, keine der beiden breiten Schultern, zwischen denen sie eingekeilt saß, zu berühren, als sie nach dem Tagebuch griff.
Im gleichen Moment griff Reno danach. Ihre Hände trafen sich. Beide rissen ihre Hand mit einer gemurmelten Bemerkung zurück -eine Entschuldigung von Eve, ein Fluch von Reno.
Caleb blickte hastig weg, damit keiner sein breites Grinsen bemerkte. Caleb konnte sich durchaus vorstellen, weshalb Reno so reizbar war. Eine Frau zu begehren und sie nicht zu besitzen, hatte schon gelassenere, umgänglichere Männer als Reno Moran die Beherrschung verlieren lassen.
Und Reno sah ganz wie ein Mann aus, der eine bestimmte Frau begehrte. Heftig begehrte.
»Also...« meinte Caleb und räusperte sich, »Sie sagen, die Cristobal-Expedition führte von Santa Fe nach
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